Liebe Tichonne,
Ich denke man hat Verantwortung Menschen gegenüber, denen man Hoffnung macht, Versprechen gibt und auch sich selbst gegenüber. Natürlich sind Menschen schwach, machen Fehler. Wenn sie aus diesen Fehlern aber niemals lernen, sondern immer wieder dasselbe Muster wiederholen, ist das - um's jetzt mal milde auszudrücken - eine in meinen Augen sehr bedenkliche Verkennung der Realität.
Die sehr bedenkliche Verkennung sehe ich nicht (ausschließlich) bei ihm, sondern auch bei EI. Er hat es versucht, er ist gescheitert. Kann man das immer vorhersagen, immer wissen? Hältst du dich jemals an alles, was du jemals gesagt hast oder hast du auch schon die Erfahrung gemacht, dass du an etwas gescheitert bist, was du nicht vorhersehen konntest? Zum Beispiel an deinen eigenen Ängsten oder sonstigem? Ich möchte nichts weiter als auf eine ganzheitlichere Sichtweise hinaus und nicht nur darauf, dass der Mann Verantwortung hat und diese auch zeigen "sollte" und sowieso alles falsch gemacht und jetzt auch noch einen Brief schreibt usw. usf.
Da kann ich dagegen argumentieren, dass auch EI eine Verantwortung ggü. der Familie hatte, die nun zerrüttet ist. Das hat in diesem Mann eine Lebenskrise ausgelöst, die er im RAHMEN seiner Persönlichkeitsdisposition eben nun so ausgelebt hat, wie er sie eben ausgelebt hat. Er wird nicht dasitzen und denken: ich handle jetzt straight, weil ich Verantwortung ggü. meinen Versprechen an EI habe.
Der Unterschied ist, dass hier viel gewertet wird: gewertet, was der Mann hätte tun sollen und gewertet, dass EI ja sehr im Sinne ihrer Werte gehandelt hat. Der Unterschied ist, dass viel mit zweierlei Maß gemessen wird: die eine Seite wird sehr wohlwollend behandelt, die andere Seite mit sehr viel Härte und Strenge.
Wer aber weiß um die Werte dieses Mannes und wer weiß, was ihn so beutelt? Wie können wir eigentlich darüber urteilen? Ich sehe hier eine Unfähigkeit von ihm. Unfähigkeit bedeutet, dass er nicht KANN und nicht, dass er doch einfach mal hätte anders (im Sinne von EI) hätte tun können.
Das ist sehr hart bewertet. Immerhin: Hätte EI das nicht erzwingen wollen, mit diesem Mann zusammen zu sein, so wäre die Geschichte vermutlich (!) für alle Beteiligten nicht ganz so dramatisch zu diesem (!) Zeitpunkt geendet und hätte einen anderen Verlauf genommen. Also, es hatte hier auch EI einen ganz großen Einfluss darauf, indem sie unbedingt etwas bekommen wollte, was ihr offenbar nicht von selbst zugefallen ist.
Dieses "erzwingen wollen" löst dann wieder andere Kettenreaktionen aus.
Und das sehe ich so wie Banane:
Aber dann soll es halt nicht sein.
So etwas zu akzeptieren, lieber früher als später, sehe ich als wirklich stark an.
Im Grunde sind hier alle Opfer. Und deshalb finde ich, dass sich der Vergleich eines Stotterers sehr gut eignet: Ein Mensch, der nicht kann aber vielleicht möchte! Jemand anderer, der nun über Jahre erwartet, dass er zum Stottern aufhört und immer wieder auf die Schnauze fällt, müsste sich sinnvollerweise fragen, ob der Mann in der Lage dazu ist, das Verhalten zu zeigen, dass man sich selbst (!) wünscht. Das nennt man diagnosestabil. Dieser Mann hat sich einfach diagnosestabil gezeigt, nichts weiter. Deshalb ist das alles nicht überraschend.
Wenn ich mit einem querschnittgelähmten Mann einen Berg besteigen will und er mir verspricht, dass er sicher bald soweit ist, mit Hilfe von Ärzten usw., einen Berg mit dir zu besteigen, weil er selbst den Wunsch hat und auch deinen Wunsch spürt und er ist aber nicht dazu in der Lage...Weil er eben gehbehindert ist. Liegt es dann in meiner Verantwortung, zu erkennen, dass die Chancen, dass der Mann niemals wird einen Berg mit mir besteigen wollen oder erwarte ich Jahr für Jahr, dass er endlich diesen Berg mit mir besteigt? Und wenn er es nicht schafft und kapituliert und sagt: Ich schaff es einfach nicht...Was schmerzt mich daran mehr? Dass diese Unfähigkeit, die schon vor langem ersichtlich war, nicht in eine Fähigkeit umgewandelt wurde oder meine eigene Unfähigkeit, zu erkennen, dass der Mann diese Versprechungen gar nicht umsetzen kann, weil er nicht in der Lage dazu ist und höchstwahrscheinlich nie sein wird?
Nun ist es so gekommen, wie schon lange vorhergesagt und es klingt so an, als würde nun das Fazit gezogen werden: Mensch, er redet nur von sich und wie schwer ihm das fällt, das Stottern aufzuhören. Hätte, wäre, wenn...er sie lieben würde, er stärker wäre, er verantwortungsvoller wäre usw. usf. dann hätte er doch im Sinne von EI handeln sollen: klar, straight, wie ein Held usw. usf. Das dieser Mensch aber Schwächen hat, von denen wir wenn überhaupt nur einen Bruchteil wissen und von ihm erwartet wird, dass er so handelt, wie das viele hier gerne hätten, sehe ich als nicht gerechtfertigt.
Das ist aber der Schluss, den ich für wenig förderlich halte, weil er genauso wenig KANN, wie ein Stotterer. Übrigens: Er schien mir schon so, als würde er leiden. Sehr sogar. Leiden unter seiner eigenen Unfähigkeit, seiner Entscheidungsschwäche und anderen Pers.eigenschaften, die er eben mitbringt.
Schönen Sonntag an alle, bin grad etwas in Hektik und hab das jetzt einfach ohne Unterbrechnung heruntergeschrieben. Ich hoffe, meine Rechtschreibfehler halten sich in Grenzen.