Gefühlschaos - Ja, Nein oder vielleicht doch?

[Scheherazade]

Liebe Mitglieder des Forums,

ich möchte mich kurz vorstellen und ein wenig von meiner Situation berichten. Ich bin 45 Jahre alt und seit drei Jahren in einer ungewöhnlichen Beziehungssituation mit meinem 37-jährigen Mr. X. Unsere Beziehung gleicht eher einer On-Off-Beziehung, obwohl alles angefangen hat mit einer Freundschaft Plus. Damit sind wir immer ganz gut gefahren, aber Mr. X hat jedoch gelegentlich emotionale Anwandlungen und verspürt den Wunsch, sich endlich richtig zu binden. Und das mit mir. Sobald ich mich emotional darauf einlasse, zieht er sich jedoch wieder zurück, als ob seine Gefühle sofort wieder erkalten würden. Manchmal vergehen dann drei Monate ohne Kontakt (manchmal von mir aus und manchmal von ihm aus), und plötzlich ist er wieder sehr präsent in meinem Leben. Im Freundekreis sind wir schon als das "Pärchen was nicht voneinander los kommt" bekannt.

Obwohl ich jedes Mal das Gefühl habe, dass seine Gefühle intensiver werden, gibt es nicht wirklich eine Weiterentwicklung, die von Dauer ist. Er hatte noch nie eine ernsthafte Beziehung, maximal ein paar Monate, bevor er sich eingeengt fühlte. Mich jedoch kann er seit drei Jahren nicht loslassen – oder ist es nur die Bequemlichkeit, die ihn bei mir hält?

Oft ist es auch ein Zeitproblem, dass wir uns sehen können, da er selbstständig ist und saisonbedingt oft sieben Tage die Woche arbeitet. Obwohl es sehr einfach wäre, sich auch mal spontan zu treffen, da wir im gleichen Ort wohnen und dies auch nicht weit voneinander entfernt. Seine Prioritäten liegen anscheinend nicht bei mir, da er sich ständig Freunde einlädt und wir daher selten allein sind.

Ich weiß nicht, ob das wichtig ist, aber er sucht schon regelmäßig den Kontakt zu mir. Wenn ich hingehe, sind aber immer seine Kumpels da. Haben selten Zeit zu zweit. Vielleicht interpretiere ich auch zu viel hinein und er sammelt sich einfach möglich viele um sich.

Ich frage mich daher, ob es überhaupt sinnvoll ist, an dieser merkwürdigen Beziehung zu arbeiten, oder ob es eine vergebliche Mühe ist. Manchmal habe ich das Gefühl, dass er sich nicht weiterentwickeln will.

Ich bin dankbar für jeden Rat oder jede Erfahrung, die ihr teilen könnt. Hab mich irgendwie in meinen Gefühlen verloren und kann nur an Ihn denken.

Liebe Grüße Scheherazade


P.S. Ich bin mir nicht sicher in welches Thema ich im Forum gehöre, da es sich ja nicht um eine Klassische Beziehung handelt, aber auch nicht ums klassische Kennenlernen.

 

[Mod Plouha]

Hallo Scheherazade,

Ja, das ist schwer einzuschätzen, ob das Partnerschaft, kennenlernen oder Affäre ist (im Sinne von unverbindlich und zwei ungebundene Partner). Wie sieht er das denn, was ist Euer Konsens, wenn Ihr darüber sprecht?

Gruß Plouha

 

[Scheherazade]

Guten Morgen Plouha,

Wenn ich noch einmal in mich gehe und mich mit der ganzen Thematik auseinandersetzte, dann denke ich: Ich bin gerade in so einer Dauerschleife des Kennenlernens gefangen.

Bei uns ist einfach das Problem, dass wir aus zwei verschiedenen Welten kommen, die manchmal miteinander kollidieren. Wir hatten gestern ein Gespräch, welches echt gut lief. Wir konnten uns mal aussprechen und aufeinander zu bewegen. Auch war das Gespräch nötig, um verstehen zu können, warum er (aus meiner Sicht) teilweise so „ignorierend“ handelt.

Wir schauen mal, wo hin das führt, aber für mich ist jetzt auch klar geworden, dass es diesmal der letzte Versuch sein wird. Es muss sich auch in meine Richtung bewegen.

Vielleicht verrenne ich mich auch, weil es gefühlt eine Never-ending-Story ist, aber eine letzte Chance gebe ich dieser „Liebe“ noch.

Liebe Grüße

Scheherazade

 

[Cola Light]

Hi meine Liebe, jetzt habe ich auch mal dein Thema durchgelesen…
Also wenn ich das so lese, dann würde ich dir raten einfach mal den Begriff Bindungsangst bei Google oder noch besser bei YouTube zu googeln.
Dort bekommst du sehr viele Antworten.
Für mich ist das, was dein Freund hat absolut Bindungsangst.
Ich glaube, ich habe alles, was dieses Thema betrifft, gelesen oder gehört.
und zwar deswegen, weil ich meinem Mister X genau dieses Beziehungsmuster auch unterstelle.
Anders kann man sich diese außergewöhnliche Verhaltensweise auch gar nicht mehr erklären…

 

[Scheherazade]

Guten Morgen Cola Light,

mit diesem Thema habe ich mich auch schon auseindergesetzt und ja das könnte zu Ihm passen. Auch das er seine Freiheiten nicht aufgeben will.

Ach echt schwierig mit diesen Kanditaten.

 

[WischiWaschi]

Es ist verständlich, wenn er noch keine ernsthafte Beziehung geführt hat, dass er sich dann bei Bindung zurückzieht. Das Problem muss ja aber deutlich tiefgehender liegen. Hat er mal was von seiner Kindheit/Jugend erzählt?

 

[Scheherazade]

Hallo WischiWaschi,

vielen Dank für deine Nachricht.

Ich bin auch etwas zwiegespalten hier bei Ihm Bindungsangst zu benennen.
Seine Kindheit war normal (soweit ich das beurteilen kann), Scheidungskind, aber das muss ja nicht unbedingt was heißen.

Er hat früh seinen Vater verloren und musste von heute auf morgen die Firma übernehmen. Durch die Selbstständigkeit ist er saisonbedingt oft sieben Tage die Woche arbeiten. Da war dann oft der Knackpunkt das die anderen Damen zu sehr an Ihm gezerrt haben. Das hat Ihn dann einfach unter Druck gesetzt. Klammern und in der Öffentlichkeit Liebesbekundungen sind einfach nicht seins und das muss man akzeptieren.

Außerdem kann ich verstehen das Beziehungen einen „Angst“ machen können, wenn man Sie nicht kennt. Gehört auch Mut dazu welche einzugehen. Ich merke das er auch sehr unsicher ist. Das merkt man z.B. an manchen Situationen, wo er sich rechtfertig wo es keiner Rechtfertigung bedarf. Verstehst du ungefähr, was ich meine?

Ich komme aus einer längeren Beziehung (aber schon paar Jahre Single) und weiß, wie es ist zusammenzuwohnen, er halt nicht.

Zumindest habe ich gemerkt, wenn ich ihm in seinem Tempo kommen lassen, dann meldet er sich oft und sucht die Nähe. Ich wünsche mir zwar oft mehr Zärtlichkeiten (z.B. einen Kuss, der nicht in den vier Wänden geschieht), aber auch da lässt er mittlerweile auch mehr zu.

Liebe Grüße
Scheherazade

 

[WischiWaschi]

Hallo liebe Scheherazade
Oh, der Tod des eigenen Vaters und daraufhin direkt viel Verantwortung übernehmen zu müssen, kann tiefgehendere Probleme aufkommen lassen. Vielleicht hat er dadurch gelernt, dass er am besten klar kommt, wenn er den Kopf einzieht und sich nicht unbedingt bindet. Vielleicht gerade auch aus Verlustangst heraus. Aber ich kann nur spekulieren.

Welche Rechtfertigungen meinst du denn genau? Ich habe auch Bindungsangst und kann nur sagen, dass einem da teilweise Engel und Teufel auf den Schultern sitzen, die etwas von dir wollen. "Geh die Beziehung doch ein, du willst es auch" "Nein, du darfst nicht, du könntest ja dich und andere verletzen oder dich verletzen lassen" "Aber du hast doch Gefühle für die andere Person" "Aber reichen diese Gefühle wirklich?" Es ist ein Teufelskreis.

Es ist doch generell sehr gut, wenn er dann immer wieder in seinem Tempo ankommt. Wenn das erst mal für dich so klar geht, würde ich das fortführen. Aber achte auch auf dich und deine Bedürfnisse! Was erhoffst du dir von allem?

 

[Scheherazade]

Hallo WischiWaschi,

ja das ist bestimmt harter Tobak als junger Erwachsener seinen Vater zu verlieren und dann die Verantwortung. Da gebe ich dir recht.

Mit rechtfertigen meine ich zum Beispiel das er mit anderen Frauen spricht, oder dass er nicht immer Zeit findet. Danach rechtfertig er sich warum er gerade mit Dame XY gesprochen hat. Beides ist ok für mich. Natürlich kann er mit anderen Frauen reden und auch seine weiblichen Freundinnen behalten. Das ist das letzte, womit ich ein Problem habe. Solange er mit denen kein Sex hat, ist mir das egal. Habe auch viele Kumpfels und das soll auch so bleiben.

Was ich mir von dem allem erhoffe? Ich weiß es nicht. Ich komme aus zwei sehr schlechten und langen Beziehungen und hab eigentlich keine Lust mehr auf eine neue Beziehung. Ich konnte zwar so weit heilen, aber habe auch kein Bock mehr auf Verletzungen. Mir ging/geht es als Single gut und die Konstellation wie Sie zwischen uns ist, ist halt so ein Mittelding. Verstehst du wie ich das meine?

Ich habe halt Sorge, wenn ich zu viele Gefühle zulasse, dann will ich wieder mehr und dann kommt die Unzufriedenheit. Schwierig zu erklären. Ich bleibe erstmal hinter Ihm und gehe sein Tempo mit. Wenn ich merke ich verrenne mich da wieder muss ich schauen, ob ich die Reißleine ziehe.

Liebe Grüße
Scheherazade

 

[Alvaro]

Liebe Scheherezade,

ich verstehe noch nicht so ganz, welche Wünsche an die Beziehung du eigentlich verwirklichen willst - da wird es dann auch schwierig, konkret etwas dazu zu schreiben.
Daher eine Frage, auf die Idee dazu hat mich dein Nick gebracht:
Lassen wir mal den Dschinn aus der Lampe. Angenommen so ein Dschinn erscheint vor dir und erklärt, er könne mit einem einzigen Zauber deine Beziehung zu Mr X so verändern, dass sie genau deinen Wunschvorstellungen entspricht - wie würde diese Beziehung denn dann aussehen? Was würdest du dir KONKRET vom Dschinn wünschen?

Zum Thema Bindungsangst nur ein Gedanke:
Im professionellen Umfeld begegnen mir ständig Menschen, die sich selbst oder ihre Partner*innen als "Bindungsängstler*innen" bezeichnen. Und sie erklären dann diese wahrgenommene Bindungsangst mehr oder weniger schlüssig mit frühkindlichen Erfahrungen (an die sie selbst übrigens keinerlei eigene Erinnerung haben, sondern sich die "Erinnerung" aus der Narration gebildet hat) oder Traumata aus der Kindheit. Meine ersten zwei Fragen dazu lauten immer gleich: Was gewinnen Sie durch diese Erklärung? Und was verlieren Sie durch diese Erklärung?
Ich stelle keinesfalls in Abrede, dass es Bindungsangst gibt. Natürlich gibt es die. Aber oftmals führt das entsprechende Etikett meiner Ansicht nach zu einer "Ich-bin-halt-so"-Haltung, die je nach persönlicher Situation als bequem oder als frustrierend erlebt wird. Dann wird dieses Etikett aber ganz schnell zum Auslöser für Handlungsverweigerungen. "Das ist schon passiert, das kann ich nicht mehr ändern." Und ob das wahr oder falsch ist, ist meiner Ansicht nach sekundär. Ich finde entscheidend: es ist als Haltung nicht nützlich. Deshalb rate ich bei dieser (im Moment auch äußerst "modischen" Diagnose) zur Vorsicht. Ganz besonders sich selbst gegenüber.

Herzliche Grüße
Alvaro

 

[Scheherazade]

Hallo Alvaro,

ich möchte dir für deine Nachricht danken.

Eine interessante Frage, was ich mir vom Dschinn wünschen würde. Ich denke, mein Wunsch wäre, dass er zu dieser Beziehung steht - konstant und nicht nur in bestimmten Phasen. Es wäre schön, gemeinsam etwas zu unternehmen, ohne dass andere dabei sind. Ich wünsche mir einen normalen Alltag als Paar, ohne dass er (zumindest aus meiner Perspektive) unruhig ist. Auch an stressigen Tagen möchte ich gesehen werden. Vielleicht braucht er einfach Zeit für all das, weil es ihm fremd ist und er erst lernen muss, seinen Alltag mit einer Frau anders zu gestalten. Er integriert mich schon mehr in seinen Arbeitsalltag, aber das liegt auch daran, dass mich das sehr interessiert.

Nach all den Jahren des Hin und Hers bin ich verunsichert und gehe nicht oft auf ihn zu, aus Sorge, dass es ihm zu viel wird. Je mehr Gefühle ich zulasse, desto unsicherer werde ich. Nun steht auch noch die Zeit bevor, in der er wenig Freizeit hat, aber ich verstehe das vollkommen, da es mit seinem Job zusammenhängt.

Ich habe bereits erwähnt, dass ich zwiegespalten bin, was Bindungsangst betrifft. Gefühlt ist das wie ein "Modewort" geworden, und jedem zweiten Menschen wird Bindungsangst "unterstellt".
Das betrifft mich nicht. Jeder hat sein eigenes Gepäck aus der Vergangenheit zu tragen und möglicherweise leichte Ängste daraus entwickelt, aber das bedeutet nicht automatisch, dass es sich um Bindungsangst handelt.
Aber bitte missverstehe mich jetzt nicht in Bezug auf dieses Thema. Natürlich möchte ich das nicht herunterspielen, und ich glaube schon daran, dass es Bindungsangst gibt.

Liebe Grüße
Scheherazade

 

[Alvaro]

Hallo Scheherezade,

Bei uns ist einfach das Problem, dass wir aus zwei verschiedenen Welten kommen, die manchmal miteinander kollidieren

Könntest du das ein bisschen ausführen? Worin liegt die Verschiedenheit dieser 2 Welten? Interkulturelle Unterschiede? Aktuelles soziales Umfeld? Arbeitsumfeld? Bildungshorizont? Ganz was anderes?

Wir hatten gestern ein Gespräch, welches echt gut lief.

Was genau hat dieses Gespräch auf positive Weise so besonders gemacht (reicht auch, wenn du dieser Frage für dich nachgehst, aber das kann für dich ein Indikator für künftige Gespräche sein)?

Nach all den Jahren des Hin und Hers bin ich verunsichert und gehe nicht oft auf ihn zu, aus Sorge, dass es ihm zu viel wird. Je mehr Gefühle ich zulasse, desto unsicherer werde ich.

Noch ein kleiner Tipp, der meiner Ansicht nach sehr gut zu dieser Sorge passt - ob er zu eurem Umgang miteinander und euren persönlichen Vorlieben passt, kann ich natürlich nicht beurteilen.

Ein Buch: "8 Gespräche, die jedes Paar führen sollte"
von John Gottman, dem oft so betitelten "Godfather der Paartherapie". In diesem Buch werden Paargespräche zu 8 Themen vorgeschlagen (Vertrauen, Unterschiede, Sex, Finanzen, Arbeit,...), mit etlichen Inputs aus der paartherapeutischen Praxis und sehr klaren Gesprächsleitfäden. Manches davon ist vielleicht ein bisschen amerikanisch, aber das lässt sich leicht übertragen.
Insbesondere das erste Gespräch zum Thema Vertrauen und Prioritäten würde ich euch da sehr ans Herz legen.
Ein Buch für wen? Für Paare, die EIGENTLICH gut miteinander kommunizieren können, bei denen sich aber Muster eingeschlichen haben, die Gesprächen manchmal einen destruktiven Touch geben. Auch für Paare, die offener oder klarer über ihre Beziehungsbedürfnisse kommunizieren wollen, aber kein ganz eigenes WIE finden.
Für wen nicht? Paare, die Beziehungsgespräche prinzipiell scheuen. Ich empfehle dieses Buch ständig im professionellen und privaten Umfeld weiter.

Herzlich,
Alvaro

 

[Scheherazade]

Guten Morgen Alvaro,

ich versuche mal, die Sache mit den zwei Welten richtig zu erklären. Er ist sehr traditionell, stammt vom Land, während ich in der Stadt aufgewachsen bin, offen für Neues bin und einen vielfältigen Freundeskreis habe. Er versteht das Stadtleben und die dortige Lebensweise kaum. Vielleicht will er es einfach auch nur nicht.

Obwohl er in unserem Ort hoch angesehen und immer hilfsbereit ist, erwartet er auch, dass alle anderen Menschen genauso handeln, und wird ärgerlich, wenn das nicht der Fall ist. Ich hingegen bin eher der Typ, der Verständnis für alles und jeden hat. Wie sagt er immer? "Ich will alles und jeden retten."

Was das Gespräch besonders machte? Er kam auf mich zu, öffnete sich auf eine Weise, die ich nicht von ihm kannte. Er zeigte Emotionen und sprach Ängste an, was für ihn, der normalerweise keine "Schwäche" zeigt, ein großer Schritt war. Oh Mann, ich weiß nicht, ob ich es richtig beschreiben kann, wenn man ihn nicht kennt und dabei war.

Danke für den Buchtipp. Ich werde es mal suchen und mich damit auseinandersetzen. Vielleicht hilft es mir ja weiter.