Frustrierte Mütter und lachende Väter?
S. und ich hatten uns über einen längeren Zeitraum seit ihrer Scheidung nicht mehr gesehen. Vor einiger Zeit war ich bei ihr zu Besuch.
"Ist mal wieder was anderes, " freute sie sich am Telefon, als sie mich herzlich in ihre 2 ½ Zimmer-Wohnung einlud.
Als ich kam, waren ihre beiden Kinder (Junge 5 Jahre und Mädchen, 9 Jahre) noch nicht im Bett, und sie lächelte entschuldigend, weil sie selbst dabei war, die letzte Wäsche aufzuhängen. Ihr Kleiderständer stand im Flur, versperrte den Weg. "Weiß nicht wohin mit dem, mal ist er in der Küche, mal im Wohnzimmer, mal im Kinderzimmer... die Wohnung ist zu klein." Draußen regnete es, und ihr Balkon war gerade mal für zwei Personen, sitzend im Gartenstuhl, ausgerichtet, bzw. hatte Platz für den Kleiderständer bei Sonnenschein. In der Waschküche im Keller hing bereits die frisch gewaschene Bettwäsche, berichtete sie. Kein Ausweichen möglich.
"Mama, hilfst Du mir noch bei Mathe? Muss bis morgen fertig sein", flehte die Tochter (bereits in der 3. Klasse).
S. wurde laut und heftig. "Würdet ihr jetzt bitte endlich mal die Zähne putzen und Euch bettfertig machen? Und die Glotze ausschalten. Hey, es ist schon fast halb neun. Muss ich Euch das jeden, wirklich jeden Abend erzählen? Und Du, J., was machst Du eigentlich den ganzen Tag im Schulhort? Helfen die Euch da nicht? Du glaubst doch wohl nicht, dass ich jetzt um diese Zeit noch mit Dir Mathe mache? Dass Du mit so was auch immer kurz vor Toresschluss ankommst..."
S. redete sich in Rage. Erst eine halbe Stunde später saßen wir beide im Wohnzimmer auf ihrer Schlafcouch. Ich war es dann, die ihr den Wein einschenkte, nachdem ich vorher zugucken durfte, wie sie sich mit den Kindern abmühte, ihnen im Bad half, die 5jährige abduschte... und ihnen gegen neun endlich den zärtlichen Gute-Nacht-Kuss gab. Ich unterstützte sie ein wenig bei diesen Aktivitäten.
S. fiel förmlich in den Sessel. "Entschuldige, ich habe es wirklich nicht eher geschafft. Habe bis fast 17.00 Uhr gearbeitet, das Auto aus der Werkstatt und die Kinder vom Hort abgeholt, musste noch einkaufen, habe die Wäsche schnell gewaschen, Abendbrot zubereitet..."
Sie sprang auf, flitze in die Küche und zauberte einen kleinen Käseigel auf den Tisch. "Für uns beide, " sagte sie lächelnd "Ich hoffe, Du hast darauf Appetit. Den musste ich noch machen..."
Wieder erhielt ich ein kleines Stückchen mehr Einblick in ihr Leben. Sie erzählte mir bereitwillig ihre tägliche Routine, seitdem Ihr Mann und sie sich getrennt hatten, die morgens um halb sieben begann und meist um halb zehn oder später am Abend endete. Dazwischen 30 Arbeitsstunden in der Woche. Dennoch kamen häufig auch Überstunden hinzu, nicht zuletzt, weil ihr die Arbeit natürlich auch Spaß machen würde und sie froh war, bei ihrem langjährigen Arbeitgeber, einer gut gehenden Werbeagentur, ihren gelernten Job in Teilzeit ausführen zu können. Dann die Wahrnehmung der verschiedenen Termine mit den Kindern: Sport, Geburtstage, Arzttermine, teilweise auch therapeutische Maßnahmen wie Ergotherapie, nicht zuletzt die Pflichten im Haushalt. "...Ja, und dann falle ich nur noch ins Bett, bin fix und fertig..."
"Und wie steht es mit einem neuen Partner?", fragte ich sie. S. lachte freudlos: "Wann denn das noch, bitte?" Ja, sie ginge an den freien Wochenenden gelegentlich weg, aber wirklich Zeit für Liebe und Partnerschaft...? Wo sollte sie das noch unterkriegen? Ganz selten würde es im Bett enden, wenn sie denn mal Lust hatte. Oft wären es bereitwillige Singles, die sie in einer Disko aufgegabelt hätte, mit keinem Schimmer, was Ehe und Kinder überhaupt bedeuteten. Einen "gescheiten Familienvater" hatte sie in den letzten drei Jahren auch nicht kennen gelernt. Wenn, dann war sie im Nachhinein nicht sonderlich erbaut von demjenigen bzw. trug dieser noch jede Menge Altlasten und Frustrationen mit sich herum.
Ich sah sie an. Sie wirkte müde und abgespannt, etwas ungepflegt, brüchige Nägel und ihre Frisur hatte schon bessere Tage gesehen. Sie lächelte traurig. "Ja, ob ich will oder nicht, ich komme zuletzt. Es ist alles nur auf Job, Geld verdienen und die Kinder ausgerichtet. Der Unterhalt von W. fängt gerade mal einen Bruchteil von dem auf. Und ich muss mit der Wäsche hinterherkommen, oft bei den Hausaufgaben helfen. Meine Bedürfnisse kommen zuletzt. Schau´ mich an. Mitte 40, abends der Leibwächter meiner schlafenden Kinder, und mit nur noch wenig Erwartungen und zerstörten Hoffnungen an das Leben. Ich fühle mich schlapp. Ich weiß, das hört sich total deprimiert an. Aber es stimmt, ich bin es. Nur, was nützt das...?"
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Ich war danach auch einmal bei ihm, S.s Ex-Mann, und seiner Lebensgefährtin (ich nenne sie XYZ), zur Grillparty eingeladen.
Als ehemalige enge Freunde versucht man sich dann weitestgehend neutral und zurückhaltend zu verhalten.
Er bewohnt mit seiner Neuen seit einiger Zeit eine schöne Doppelhaushälfte in einer besseren Gegend von H. Wir hatten Glück mit dem Wetter, nutzten den hübsch angelegten Garten.
Das Haus war von der Inneneinrichtung her ein kleiner Traum. Das Wohnzimmer ganz modern in weiß gehalten, interessante Bilder an den Wänden, Plasma-Fernseher, eine tolle Musikanlage, von der Küche ganz zu schweigen. Das Kinderzimmer für M. und J. war ebenfalls hübsch eingerichtet. Sauber und ordentlich sortiert lag das Kinderspielzeug in den Regalen, bereit für den nächsten Wochenendbesuch. W. bewies mal wieder handwerkliches Geschick, hatte vieles selbst gemacht, die Elektrik vom Feinsten im Hause installiert. XYZ, seine Freundin aus recht betuchtem Hause, zeigte ebenfalls eine kreative Hand, was die Inneneinrichtung betraf. Unsympathisch fand ich "sie" nicht. Sie selbst hatte keine Kinder in die Beziehung eingebracht, arbeitete den Tag über als Vertriebsleiterin für ein pharmazeutisches Unternehmen.
Als Gastgeber wirkten sie beide ausgezeichnet, kümmerten sich abwechselnd und ausgelassen um ihre Gäste. Ein schönes Paar. Es gab von der Verpflegung her
alles, was das Herz begehrte.
Aus den unterschiedlichen Gesprächsfetzen erfuhr ich etwas über ihren Lebenswandel: Nach Feierabend ein- bis zweimal Tennis in der Woche, regelmäßige Besuche auf der Sonnenbank, des öfteren gemeinsame Besuche bei After-Work-Parties, Sit-in bei netten Freunden. Der Job stand bei beidem jedoch im Vordergrund. Er verdiente als Bauleiter gut und wirkte zufrieden, sie auch. Sie leisteten sich einmal in der Woche eine Putzfrau, da sie sich selbst nicht immer kontinuierlich um das Putzen und Saubermachen im Haus kümmern konnten. Eigene Kinder bräuchte XYZ nicht, lachte sie. Sie wüsste ja schon durch W., wie es mit dem Nachwuchs liefe. Und sie planten immer etwas Schönes, wenn die Kinder kamen.
Ich gesellte mich an diesem Abend etwas mehr zu XYZ, weil mich ihre Ansichten näher interessierten...
Urlaub wäre zumindest bis zu dreimal im Jahr auf jeden Fall drin, erzählte sie. Den bräuchten sie schon, um richtig auszuspannen und Spaß zu haben; einmal für zwei Wochen in den Sommerferien wären W.s Kinder dabei. Sie und W. würden auch häufig Wochenend-Trips, Städtereisen und ähnliches in Angriff nehmen. Wenn dann ein Wochenende mit den Kindern nicht passen würde, müsste halt die S. die Kinder betreuen, schließlich wohnten sie auch bei ihr. Aber ansonsten wäre sich W. der Verantwortung gegenüber seinen Kindern äußerst bewusst, hielte auch zwischendurch telefonisch regelmäßig den Kontakt zu ihnen und würde beide innigst lieben. Die Großeltern könnten natürlich nicht immer hinzugezogen werden, aber auch dort wären die Kinder hin und wieder. Sicher könnte noch etwas mehr Amüsement für W. und sie drin sein, wenn diese "blöden Unterhaltszahlungen" nicht wären. Aber W. hätte die letzten Jahre daran schon getrickst, vertraute sie mir an. Den einen oder anderen Weg, weniger nachehelichen Unterhalt zu zahlen, würde es schon geben... Sie grinste.
Ich schaute XYZ in die Augen. Sie hatte bereits etwas mehr getrunken als ihr gut tat, sonst würde sie mir wohl diese "kleinen Geheimnisse" nicht erzählt haben...
Als ich zu Hause war, dachte ich als Außenstehende und Beobachterin dieser Szenarien lange nach:
Wer von beiden, W. oder S., hat nun die "berühmte Arschkarte" gezogen nach der Scheidung? Wer führt das bessere Leben, wer hat mehr Glück (gehabt), wer macht es richtig, wer falsch?
Nach diesen Besuchen würde ich persönlich sagen: In meinen Augen ist es W., der die besseren Karten in Händen hält. Er verfügt schon fast über die Mobilität eines Singles, muss nicht wirklich viel von sich aufgeben, unterstützt mit (geringem?) materiellen Aufwand. Leidet augenscheinlich wenig darunter, die Kinder nicht ständig und täglich bei sich zu haben. Weiß er es eigentlich zu schätzen, dass S. tapfer die Verantwortung und die volle Erziehung (trotz des gemeinsamen Sorgerechts) für die beiden Kinder trägt? Sie hat die hauptsächliche Last und lebt deutlich eingeschränkter. Unter der Prämisse, es allein zu schaffen? Falscher Stolz? Oder könnte sie einige auferlegte Verpflichtungen ohne weiteres an W. übertragen oder abgeben, wenn sie es nur wollte oder den Mut dazu hätte? Denn stand dahinter nicht vielleicht auch Angst, Streitereien heraufzubeschwören?