Liebe Anne,
ich finde deinen Beitrag äußerst bereichernd und bin sehr froh, dass du ihn geschrieben hast.
Ich werde jetzt hier in diesem Strang meinen letzten Beitrag schreiben, hab mich ja schon verabschiedet und ich merke für mich, dass der Zeitinvest, den ich heute hier gelassen habe und jetzt noch lassen werde, meine energetische uns sonstige Rechnung nicht ausgleicht und ab morgen hab ich sowieso keine Zeit mehr zu schreiben.
Also, alles gut, ich möchte einfach noch einmal kurz ausholen.
Ich hoffe darüberhinaus wirklich von Herzen, dass diese aktuelle Thematik von Ava weiterdiskutiert wird in der bereits herrschenden tiefgründigen Thematik, da ich dieses Thema wirklich äußerst wichtig finde. Es mag abgedroschen klingen, vor allem, da ich selbst eigentlich eher eine sehr grenzsetzende Person bin, aber mit viel weiblicher Wärme und irgendwie Mütterlichkeit ausgestattet bin. Darüberhinaus bin ich per se keine gängige Kinderliebhaberin bin, die alles dafür tun würde, um mit Kinder zusammen sein zu dürfen. Ich finde es dennoch wichtig, weil:
In jedem von uns steckt noch das Kind unserer Kindheit, ob er es einsehen möchte oder nicht. Es ist ein Teil von uns, den wir Zeit unseres Lebens nicht mehr loswerden können. Unser inneres Kind. Die Prägungen und Erfahrungen, die wir seinerzeit gemacht haben, werden wir niemals mehr los. Wir können an ihnen schrauben, wir können uns entwickeln. Aber, unsere ganz grundlegenden Prägungen und Erfahrungen werden wir niemals mehr los, auch wenn wir sie optimieren, erweitern und ausschöpfen können. Also, lieber vorsorgen statt nachsorgen
Ich habe Jahre damit zugebracht mit Kindern, Jugendlichen und deren Eltern psychologisch fundiert zu arbeiten und hatte lange Jahre eine fantastische Supervision mit einem tiefenpsychologisch fundierten psychologischen Kinder-Psychotherapeuten, von dem ich irrsinnig viel gelernt habe! Ich weiß aus Erfahrung, welche Fehler, welche Geschichten dahinter stecken und was aus einer verwahrlosten Erziehung, einer kalten, lieblosen Erziehung perfekter Eltern, einer Patchwork/Fleckerl-Familie usw. - aus alldem entstehen kann. Kinder sind unsere Zukunft. Ja, ehrlich. Es ist so. Und es ist so schön, ab und an die Welt aus den Augen eines Kindes zu sehen. Jeder, der nicht ab und an Zugriff auf diese magische Innenwelt hat weil er sie aus diversen Gründen abgespalten hat, tut mir ehrlich im Herzen leid. Aber, diese Innenwelt ist noch in Teilen da, auch wenn man sie nicht mehr spürt. Sie kann gar nicht verloren gehen!
Ich ziehe hier KEINE Bezüge zu einer individuellen Geschichte, auch nicht zu Ava's!!! Ich möchte einfach kurz aus meiner Arbeit berichten:
Kinder sind unsere Zukunft auch deshalb, weil sie Grundsteine für die Zukunft legen. Das weiss ich unter anderem deshalb aus eigener Erfarhung, weil ich nun "Kinder" in einem Erwachsenenkörper zu behandeln habe, die nie altersgerecht reifen durften in ihrer Kindheit. Es sind Mörder und Vergewaltiger. Sie müssen nun lernen, nachzureifen (was nur sehr schwer möglich ist). Dabei helfe ich ihnen. Ich helfe ihnen nachzureifen, indem ich mit einem 24-jährigen Doppel-Mörder stundenlang seine Lieblingsbilder von seinem Lieblingskünstler anschaue, ihn frage, was ER sieht. Nicht ich, sondern ER. Ich mich für ihn interessiere. Wie er etwas auffasst und wie er die Dinge sieht. Ihn frage, ob er mir mal die Ölfarben, mit denen er in Haft malen darf, zeigen kann. Mich mit ihm beschäftige. All das mache, was seine Eltern versäumt haben in seiner Kindheit, als er es so gebraucht hätte, einfach deshalb weil er ein Kind war und weil er in die Welt gesetzt wurde und das Recht hatte, kindgerecht aufzuwachsen. Weil sie nie die Bedingungen gehabt haben, die erwiesenermaßen (!) für ein Kind so wichtig sind. Sie müssen also nun als Erwachsene sozusagen nachreifen, einen Teil ihrer Kindheit nachholen, laiensprachlich gesprochen. Man nennt diesen Teil der Arbeit auch "Beziehungsarbeit". Es geht immer um Beziehungen, um Nähe und Distanz und um Wärme, Liebe und Grenzsetzung. Es muss nicht der Mörder das Resultat sein und nicht die verwahrloste Umgebung, welche oftmals dafür verantwortlich ist. Es reicht ein beziehungs
unfähiger Mensch, ein höchst manipulativer Mensch, eine Frau, die nie einen wirklich anwesenden Vater hatte und deshalb nun Schwierigkeiten hat, eine gesunde Beziehung einzugehen, die eine kalte Mutter hatte, die nicht in der Lage war, Wärme und Mutterliebe zu geben, ein Kind, dem alles erlaubt wurde, ein Kind, dem nichts erlaubt wurde und welches nun entweder grenzüberschreitend ist als Erwachsener und sich alles erlauben möchte oder zwanghaft und ängstlich. Es gibt tausend solcher Variationen.
Ich wollte also einfach meine Perspektive darstellen, welche ich aus meiner langjährigen Berufserfahrung gewonnen habe und zwar einmal aus der Arbeit mit Kindern und deren Familien und einmal mit Kindern in einem Erwachsenenkörper, welche als Erwachsene nachreifen sollen. All mein Wissen beziehe ich teils aus dem Studium, aus Weiterbildungen und von meinem sehr sehr geschätzten und auch bekanntem Supervisor. Dieses Wissen deckt sich sehr mit dem, was Felis hier geschrieben hat. Deshalb fand ich das so derart wertvoll, was sie geschrieben hat. Es ist so gesund. Ich will damit sagen, es ist kein Schmarrn, der hier steht und richtig in die Tiefe kann man trotzdem nicht gehen. Tatsächlich würde man in einer echten Face-to-face-Beratung erstmal mehr auf dich eingehen, um dich sozusagen abzuholen und dann mit den Interventionen beginnen. Das ist in einem Forum wie diesem aber nicht möglich. Der Austausch mit der SE findet zeitlich sehr verzögert statt und es kann jeder schreiben und wenn man mal eine fachliche Intervention verfolgt, kann man sich todsicher sein, dass diese Intervention eine halbe Stunde später von einem anderen User durchkreuzt wird. So ist das eben hier und es ist auch völlig okay so, da der Rahmen ja gesteckt ist
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Ava, ich verstehe tatsächlich von Herzen gut, dass es eine sehr herausfordernde Situation für dich ist. Alleine deshalb, weil es eben nicht deine Tochter ist und du geschrieben hast, du wolltest nie Kinder. Und nun hast du sozusagen ein Kind, auch noch ein weibliches, mit welchem du möglicherweise meinst, konkurrieren zu müssen.
Ich kann und will dich dennoch einfach unterstützen darin, dass du dich innerlich erweiterst, indem du dazu lernst, weil wir uns nur mit dir und deinem Problem hier austauschen können und nicht mit Big oder seiner Tochter. Sei es erstmal theoretisch und dann auch gefühlsmäßig. Hast du viel Mutterliebe erfahren, oder war deine Erziehung eher streng und kühl? Durftest du Kind sein oder nicht? Warst du Papas Prinzessin und hast dennoch gesunde Abgrenzungen erfahren oder warst du Papas Prinzessin und warst immer nur die einzige alleinige oder warst du nie die Prinzessin von Papa? Und, welche Rolle hatte deine Mama dabei....? Das sind Fragen, die du dir stellen kannst, alleine für dich (nicht hier zu beantworten) im stillen Kämmerlein.
Und, deshalb schrieb ich auch u.a., dass ich Big da gut verstehen kann und hab mehrmals betont, wie wichtig es wäre, dass DU dich da weiterentwickelst, unabhängig von den anderen dieser Konstellation. Er scheint mir tatsächlich ein guter Vater zu sein, wenn sicherlich auch mit Schwächen. Wirkst du souveräner und weniger eifersüchtig, bist du eine ernsthafte Ansprechpartnerin für deinen Big, was Kindererziehung betrifft. Wirkst du eiferstüchtig und zickig, sinkst du automatisch in seinem Ansehen, was Kindererziehung betrifft und er wird sich mit dir nicht sonderlich austauschen wollen. Deine Bedürfnisse sollen natürlich nicht außer acht gelassen werden, deshalb finde ich jene Perspektive so wichtig, die darauf abzielt, dass DU mit reifem und geschicktem Vorgehen dafür sorgen kannst, eine andere Verbindung aufzubauen und Grenzen in einer adäquaten Weise zu setzen. Es geht nur um deinen Anteil. Nicht den Anteil von Big oder seiner Tochter. Aber für deinen Anteil kann man dir hier helfen. Man kann die Situationen durchgehen, die deinerseits Veränderung bedürfen, so dass du bei weiteren Situationen dieser Art eine Orientierung haben kannst.
Dann hast du auch ein besseres Standing bei weiteren Argumentationen. Und man kann sich entwickeln und erweitern und dazu lernen - innerlich wie äußerlich - und mit Bereitschaft auch den inneren Zugang möglicherweise freilegen.
Da fand ich Felis Analyse deiner Wortwahl (wie du dich über das Kind geäußert hast), sehr wertvoll. Auch mir kam es so vor, als würdest du es als Feind bzw. Konkurrentin sehen. Es geht m.M.n. aber nicht darum, dich über die Maßen zu bestätigen, wie schwer das alles ist, sondern du bist die intelligentere und reifere Person und kannst da anders damit umgehen, wie ein Kind, welches seine Reifeschritte durchmacht. Und, dass du da eben manchmal zurückstecken musst, weil Big ganz natürlich Beschützerinstinkte seiner Tochter ggü. hat, ist einfach folgerichtig (die du ja erst recht bestärkst, je mehr du dagegen redest). Deshalb kommt es ja auf deinen Frame drauf an und deine Bewertung, die du stückchenweise ändern kannst. Damit ist sowohl dir geholfen, als auch den anderen.
Ich hoffe, ihr könnt zu einer gute harmonischen Patchwork-Familie zusammenwachsen, indem du deine Weiblichkeit und Mütterlichkeit gut leben kannst, auch wenn du nie Kinder wolltest, deine eigenen Grenzen setzen kannst und dich gleichwohl auch ein Stück weit zurücknehmen kannst mit einem gewissen verständnisvollen Blick auf ein Vater-Tochter-Verhältnis, was niemand sonst ausser seiner Tochter und er, einnehmen kann. Du scheinst eine sehr weibliche, intelligente, reife Frau zu sein und wirst da sicher deinen eigenen, individuellen Weg gehen und entdecken und vielleicht sogar noch ein weiteres Stück Weiblichkeit und Wärme.
Also, mach es gut mit deiner kleinen Familie!