Liebe Annemie,
wenn ich es richtig verstanden habe, bist du mit dem aktuellen Mann seit Februar im Kennenlernen? D.h. ihr seid ca sechs Monate im Kontakt? Dann habt ihr ja schonmal die ersten kritischen drei Monate hinter euch und von euch beiden aus scheint es mehr als nur Verliebtheit zu sein? Wobei bei Fernbeziehungen, wenn man sich weniger oft sehen kann, die Verliebtheitsphase viel länger anhalten kann. Das nurmal als Idee, weil dich jetzt diese Ängste überkommen - es wird Ernst.
Aber dann kommt es: Ich merke, die ganz große Angst ist ehrlicherweise gar nicht, dass er zu nahe kommt; die ganz große Angst ist die, dass ich mich in meiner ganzen Bedürftigkeit ( die aber ja eigentlich nicht statisch ist) zeige und dass er dann plötzlich weg will. Ich zu viel werde!
Ich glaube, ich kann es gut nachvollziehen, wie es dir geht. Das innere Dilemma zwischen ganz nah sein wollen und gleichzeitig die Nähe fürchten. Habe bei mir selber festgestellt, dass ich in der Distanz von innen heraus wieder die Nähe suche und dann auch die (Verlust-) Ängste sich dazu gesellen und in unmittelbarer Nähe ich so eine Art "Prinzessinnenallüren" entwickle und penibel beobachte wie er sich mir gegenüber verhält und mich sowohl hingeben kann und möchte, als auch ziere oder mich gar verschließe. Je nach Situation.
Zu viel zu sein oder "im Grund allein zu sein" (das ist mein Lebensmotto) sind Gedanken/Themen aus der Kindheit? Wem warst du zuviel?
Beziehungen machen etwas mit uns. Durch diese sehr tiefe Ebene wird auch das Unterbewusste hervor gelockt. Manchmal wirkt es konträr zu dem was wir eigentlich wollen. Es können Schutzmechanismen sein oder einfach nur Zweifel/ Ahnungen, um nicht in diese Abhängigkeit und Ablehnung zu geraten.
Er hat am Anfang erklärt, sich eher am bindungsvermeidenden Ende zu kennen. Seit wir uns kennen, erfahre ich ihn überhaupt nicht so. Aber ja, ich wirke sicherlich eher unabhängig auf ihn. Bin ich auch. Aber ein verlustängstlicher Teil ist da auch noch.
Passt perfekt. Unterbewusst ziehen sich diese Beziehungsmuster wohl an. Bei mir war es ähnlich. Für mich war der Mann alles andere als ängstlich vermeidend oder jemand, der sich schwer tut zu öffnen, als ich ihn kennen lernte. Wir lernten uns jeweils mit dem unbewussten Bindungstyp des anderen kennen. Soll heißen, ich war eher zurückhaltend und sachlich, er sehr offen und die Nähe suchend. Dann drehte sich das Blatt irgendwann. Ich war fassungslos, wie irre man sich selbst verar...t.
Ich glaub, ich weiß nicht, ob ich darüber mit ihm sprechen soll. Wenn ich hier die ganzen Strategien lese, dann scheint sowas ja so gut wie jeden in die Flucht zu treiben. Andererseits gehört es doch auch in eine wirklich nahe Beziehung, sich darüber auszutauschen?!? Und vielleicht kann ich meine Ängste auch ausdrücken ohne mich komplett meiner Bedürftigkeit hinzugeben?
Hihi, das könnte von mir stammen. Ja, es gehört zu dir und damit in eure Beziehung, wenn es dir ein Bedürfnis ist, es anzusprechen. So kann er dich auch verstehen, was in dir vor geht und ein seltsames Verhalten deinerseits besser einordnen. Er wird dir sicher nicht die selbe Offenheit schenken können - zumindest nicht am Anfang - aber er wird es schätzen, dass du dich erklärst.
Bleibe im konkreten Fall ganz bei dir, sage was da in dir vor geht, wieso und weshalb. Keine Schuldzuweisung an ihn, dass er das in dir auslöst, oder ähnliches. Sagst du nur, was du in dir beobachtest und was du gerne anders hättest oder, oder, muss du dich nicht komplett deiner Bedürftigkeit hingeben. Im Austausch lassen wir das, was uns innerlich quält und wir für uns behalten wollen, frei. Der Druck entweicht und schlussendlich beruhigt es dich, wenn du erkennst, dass das Dilemma "nur" in dir ist und du es los lassen darfst.
D.h. nicht, dass es dann verschwunden ist. Nein. Es wird aber immer einfacher es gleich zu durchschauen, wenn du wieder an so einen Punkt kommst.
Ich habe meinem Partner ganz arg viel zugemutet. Zuviel war ich definitiv. Wäre er nur an einer schönen Liebelei interessiert gewesen, hätte ihn das sicher schneller vergrault als mir lieb ist, aber er nutzte diese Öffnungen meinerseits, um auch in sich zu gehen und teils konnte er von sich sehr intimes offenbaren. Riskante, aber äußerst heilsame Momente, die echte Tiefe entstehen lassen. Mit Wohlwollen und Vertrauen klappt es bestimmt!
Selbstverständlich oder gar für einen Selbstläufer zu halten. Sie erinnert mich daran, ihn nicht zu überfordern.
Ja, und dich selbst nicht zu überfordern.
Wünsche dir weiterhin alles Gute für deine Kennenlernphase mit deinem OdB!
Liebe Grüße
Vögelchen