Beziehungsarbeit soll Polarisierung verhindern
Jetzt sind die Zwei wieder zusammen und Silke plagen Zweifel, ob es wohl diesmal klappt. Natürlich sind ihre Befürchtungen nicht aus der Luft gegriffen, aber es wäre viel, viel besser, wenn es sie nicht gäbe, denn sie beschweren nun eklatant den Neustart der Beiden. Ängste dieser Art wirken oft wie eine selbsterfüllende Prophezeiung: Sie lassen genau das Wirk-lichkeit werden, was man unbedingt verhindern will…
Um diese verhängnisvollen Mechanismen außer Kraft zusetzen, müssten die Beiden jetzt an sich „arbeiten“; sie müssten „Arbeit“ um ihrer Beziehung willen leisten, um dem Damo-klesschwert der Polarisierung ihrer Gefühle zu entgehen, das ständig über ihren Köpfen schwebt.
Sein Anteil
Silkes Freund müsste klar sein, dass sie ihm zwar seinen Seitensprung verziehen hat, aber dass dennoch ein wunder Punkt in ihrer Seele zurück geblieben ist, ein Punkt, der leicht zum Kristallisationskern einer erneuten Polarisierung werden könnte. Bernd müsste jetzt in geduldiger Manier auf all ihre kleinen ängstlichen Besorgtheiten reagieren, und ihr die Zweifel nehmen – immer wieder. Er sollte Silke jetzt sehr viel Aufmerksamkeit schenken und Liebe.
Das müsste sein Beitrag zur Aufarbeitung ihrer Beziehungsproblematik sein. Dieses Engagement sollte Silke Sicherheit geben, Sicherheit, dass seine Gefühle stark genug sind, um nicht abermals auf Abwege zu geraten. Um diesen Effekt besonders wirkungsvoll zu gestalten, könnte Bernd auch manchmal etwas übertreiben dabei…
Sollen Gefühlsäußerungen neben dem reinen Ausdruck auch noch einen „Zweck“ erfüllen, könnten sie strategische Elemente enthalten, die die Gefühlsbotschaft verstärken. Auch wenn Silke verspüren würde, dass er um der Wirkung willen manchmal etwas zu dick auftrüge, wäre das für sie kein Schaden; ganz im Gegenteil: Sie würde sein Engagement dankend und wohlwollend entgegen nehmen, weil es Balsam für ihre Wunden wäre…
Die Unsicherheit, die Silke seit dem Neustart verfolgt, und die sie nur schwer in Schach halten kann, ist jetzt das größte Risiko für ihre zerbrechliche Verbindung. Ganz, ganz schnell kann es nämlich geschehen, dass diese Unsicherheit sie wieder anklammernd und kontrollierend reagieren lässt.
Dieses „Gift“ sickert für gewöhnlich langsam und schleichend in die Beziehungen; einer bekommt dadurch die Oberhand, und Sicherheit und Kontrolle, die immer damit verbunden sind, lassen seine Gefühle schrumpfen, wie Schnee in der Frühlingssonne. Wenn Bernd jetzt nicht Rücksicht auf ihr angeknackstes Ego nimmt und sie deshalb wieder anfinge verzweifelt zu werden – und dadurch Alles in Gefahr geriete – trüge er erheblich Anteil an dem Ganzen, weil er sie durch sein Verhalten so unglücklich reagieren ließe.
Kurze Anmerkung für Beziehungsdominante
Alle Distanzierten sollten sich im Klaren darüber sein, dass grundsätzlich auch sie ein Nähebedürfnis haben, das sie aber durch die Schiefstellung der Beziehungskräfte nicht spüren können. Unbewusst leben daher die Distanzierten ihre eigenen Bedürfnisse nach Nähe und Wärme durch die starken Emotionen ihrer anhänglichen Partner. Das Fehlen ei-genständiger, starker Emotionen macht Beziehungsdominante manchmal ratlos und traurig, und oft auch neidisch, wenn sie auf die starken Gefühle ihrer Partner schauen, zu denen sie niemals fähig sind, bzw. zu denen sie glauben niemals fähig sein zu können...
Manche halten sich seelisch für unterbelichtet oder gar für verkrüppelt, weil sie so fühlen und so sind wie sie sind. Mit diesem Selbstpathologisieren machen sie aber alles nur noch schlimmer. Ihre subdominanten Partner unterstützen sie in der Regel darin nach Kräften; denn wenn man permanent zu hören bekommt, dass man nicht fähig ist Gefühle zu haben und zu zeigen, glaubt man es schließlich selber. Solche „Einsichten“ verstellen aber den Blick auf das Kernproblem, dem fast immer eine Schiefstellung der Beziehungsmacht zu-grunde liegt. An dieser Schiefstellung müsste das Paar arbeiten, um ihre Beziehung auszu-balancieren, denn dann könnten auch auf Seiten der distanzierten Ambivalenten wieder Gefühle entstehen.
Ihr Anteil
Die Beziehungsarbeit unserer Silke müsste darauf abzielen, schädliche Anklammerungs-tendenzen bei sich zu erkennen und unter Kontrolle zu bringen. Sie müsste es unbedingt schaffen sich etwas zurückzunehmen. Ich weiß natürlich sehr gut, dass das alles andere als einfach ist! Aber sehr verehrte Leserinnen und Leser, wenn Sie in einer ähnlichen Situation sind wie die Silke, müssen Sie alles daran setzen, diese schwierige Aufgabe so gut als möglich zu bewerkstelligen. Sie müssten es z. B. unbedingt unterlassen, Ihrer Herzdame oder Ihrem Herzallerliebsten hinterher zu telefonieren, wenn Sie einmal für ein paar Stunden nicht wissen, was ihr Partner so macht oder treibt. Wenn Sie dann ausflippen und durch-drehen, weil die Angst Ihnen die Luft abdrückt und Sie es ihrem Partner auch noch sagen – in einem verzweifelten oder ärgerlichen Tonfall – hat der Abwärtssog der Polarisierung Ihre Beziehung wieder voll im Griff…Die destruktiven Verhaltensmuster wären alle wieder da. Ihr Partner würde wieder anfangen seine Gefühle für Sie zu verlieren; er könnte das gar nicht verhindern; und sie trügen eine gehörige Portion Mitschuld an dem Ganzen, weil Sie diesmal ja wüssten was passiert, wenn Sie so sind…
Therapie stärkt Ichkräfte
Aber ich weiß, manchmal ist die Angst, dass es erneut schief geht, einfach so riesengroß, dass man gar nicht anders reagieren kann. Wenn diese schädlichen Verhaltensmuster in Ihrer Persönlichkeit übernormal repräsentiert sind, sollten Sie sich einen guten Psycho-therapeuten in Ihrer Nähe suchen, um dieser „Schwäche“ mit professioneller Hilfe Herr zu werden. Irgendetwas hat während ihrer Kindheit bzw. Adoleszenz verhindert, dass sich bei Ihnen ein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln konnte. Dieses Entwicklungsdefizit kann später weiter existieren, auch wenn Sie als erwachsene Person in anderen Lebensbereichen erfolgreich sind. So eine Art Nachreifung der Persönlichkeit durch eine Therapie habe ich auch der Silke angeraten, weil eine Stärkung der Ichkräfte das beste Rezept ist, das ich kenne, um schädliche Anklammerungsreflexe bei Beziehungsschwierigkeiten abzumildern.