Zeitungsartikel über 'Liebeskult'

Admina Felis

Aktives Mitglied
Registriert
12 Aug. 2015
Beiträge
32.879
Hallo Ihr Lieben -

Markus Günther hat in der FAZ vom 25.09. einen interessanten, wie ich finde,
denkenswerten Artikel geschrieben, und ich stelle ihn für euch mal hier ein: :)


Egoistische Zweisamkeit Ersatzreligion Liebe

25.09.2014, von Markus Günther
FAZ

Der Mythos der Liebe ist der Leitstern unserer Zeit: Das einzige Ziel des Lebens ist es, Mr. oder Mrs. Right zu finden. Was für ein Irrtum. Zweisamkeit ist nichts anderes als die Fortsetzung der Ich-Bezogenheit mit anderen Mitteln. Ein Plädoyer gegen die Liebe.

Früher oder später werden die meisten Kinder in den Schulen über Ersatzreligionen aufgeklärt. Das soll ihnen helfen, die Welt und die unsichtbaren Mächte, die in ihr wirken, besser zu verstehen. Und es soll ihre Widerstandskraft gegen gefährliche Heilslehren stärken. Sie lernen dann, dass man Stars nicht vergöttern soll und erst recht keine politischen Führer, dass die Begeisterung für den Fußball religiöse Züge annehmen kann, aber auch die für Geld, Karriere oder die eigene Fitness. Schade nur, dass die mächtigste Ersatzreligion, die wenig später im Leben dieser Kinder verhängnisvoll wirken wird, von den Lehrern mit keinem Wort erwähnt und vermutlich nur von den wenigsten Menschen überhaupt durchschaut wird: die Liebe. Genauer gesagt: jene Art von Liebe, ohne die kein Popsong und kein Film auskommt, diese eine große, wahnsinnig romantische Liebe, bei der zwei Menschen sich unsterblich ineinander verlieben, vor Lust und Freude fast den Verstand verlieren, wie im Rausch übereinander herfallen und ab dann einfach nur noch glücklich, glücklich, glücklich sind. Yeah!!!

Nichts und niemand, kein Gott und kein Himmel, überstrahlt unsere Gegenwart so stark wie der Mythos dieser Liebe. Er ist der Leitstern unserer Zeit. Der angeblichen Vielfalt der Lebensstile, dem immer wieder behaupteten Individualismus, steht ein global uniformierter Lebensentwurf gegenüber: Der Weg zum Glück ist die leidenschaftliche Zweisamkeit, das einzige Ziel des Lebens ist es, Mr. oder Mrs. Right zu finden, und dann wird alles gut (und wenn nicht, fängt einfach alles wieder von vorn an - auch gut).

Der Mythos Liebe erfüllt alle Kriterien einer Pseudoreligion

Von Liebe als Ersatzreligion zu sprechen ist keine augenzwinkernde Übertreibung, sondern Ergebnis nüchterner Beobachtung. Denn der Mythos Liebe erfüllt ausnahmslos alle Kriterien einer Pseudoreligion: Diese höhere Macht verlangt Unterwerfung und verspricht im Gegenzug Erlösung und Heil. Sie duldet keine anderen Götter, verspricht den (siebten) Himmel und droht mit der Hölle des Alleinseins. Die höchsten Feiertage dieser Religion heißen Valentinstag, Hochzeitstag, Geburtstag. Wer sie nicht angemessen würdigt, wird mit Liebesentzug bestraft. Die Grundgebete: Ich liebe dich. Du bist mein ein und alles. Ich bin total verrückt nach dir. Die Sakramente: Zungenküsse, Sex. Das sakrale Erkennungszeichen: rotes Herz. Die Ikonen: Fotos von UNS. Der Altar, der Ort der Erlösung: das Bett. Die Hymnen: UNSERE Songs. Die Heilige Schrift: UNSERE Liebesbriefe. Und außerdem jedes herzerweichende Zitat, das dem Gott Liebe huldigt, vom kleinen Prinzen über Elton John bis zum Apostel Paulus.

Man muss Tomaten auf den Augen haben, um den religiösen Charakter dieses Kultes zu übersehen: Das Herz als Symbol ist in der westlichen Welt längst präsenter als das Kreuz - und wird in seiner Bedeutung sicherlich besser verstanden. In vielen Wohnungen hängen heute genau an den Stellen, wo früher religiöse Symbole, also Kreuz, Madonna oder Weihwasserbecken, hingen, Fotos der eigenen Zweisamkeit in endlosen Variationen, Bilder vom großen WIR, von UNSEREM GLÜCK, Bilder, die es laut herausschreien: Wir haben es geschafft, wir lieben uns, wir sind jetzt glücklich!!! Daneben die wie Reliquien verehrten Souvenirs von der ersten gemeinsamen Reise, dann das erste Geschenk von IHM an SIE oder umgekehrt. Manches Schlafzimmer gleicht heute einem heiligen Schrein, in dem die intimsten Bilder des eigenen Zweisamkeitskultes so präsent und raumprägend sind wie die Ikonen in einer orthodoxen Kirche. Und wenn diese Liebe erst einmal ihren Höhepunkt in Form einer spektakulären Hochzeit in Weiß erreicht hat, sind die großflächigen Hochzeitsfotos das Allerheiligste, das auf der gedanklichen Rettungsliste für den Brandfall an erster Stelle steht.

Transzendenz - also so ungefähr: die Berührung mit einer überirdischen, alles Menschliche übersteigenden Macht - erleben viele Menschen heute nur im Gefühl des Verliebtseins. Nicht zufällig wird dieses Gefühl dann beschrieben als ein „Schweben auf Wolken“, ein Leben „wie im Traum“ oder gleich als Reinkarnation: „Ich fühle mich wie neu geboren.“ Will jemand ernsthaft bestreiten, dass die große, romantische Liebe das ultimative Heilsversprechen der Gegenwart ist?

Bleibt die Gegenfrage: Na und? Ist es nicht erfreulich, wenn auf dem Altar der Moderne keine Nation und kein Führer stehen, keine Herrenrasse und keine aberwitzige Heilslehre, sondern einfach nur: die Liebe? Was genau soll denn daran falsch sein, wenn Menschen ihr Glück in der Partnerschaft suchen? Hilft nicht gerade der Traum von der großen Liebe, die ewige Egozentrik zu überwinden, endlich DU zu sagen, statt immer nur: ICH? Besser Liebe total als totaler Krieg, oder?

Irrungen, Wirrungen, Kitsch.

Jeder erfahrene Psychologe und Therapeut kann ein trauriges Lied davon singen, welche seelischen Verwüstungen der Götze Liebe hinterlässt. Denn die Heilserwartung kann sich nicht erfüllen. Erlösung - das heißt: die Befreiung des Menschen aus den Fesseln der conditio humana - kann es nicht durch einen anderen Menschen geben. Wer sich von der Liebe den Himmel auf Erden verspricht, wird sich (und anderen) das Leben zur Hölle machen.

Maßlose, ins Religiöse gesteigerte Erwartungen überfordern alle Beteiligten und führen zu bitteren Enttäuschungen. Dem Höhenflug der Gefühle (wenn man es überhaupt so weit schafft) folgt ein jäher Sturz mit hartem Aufprall. Der anfangs noch angehimmelte Erlöser erweist sich auf Dauer als recht launischer Mensch, der gemeinsame Alltag als Gedulds- und Demutsübung im emotionalen Auf und Ab. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis man außer den hinreißenden auch die irritierenden Seiten des Partners kennenlernt. Liebe auf Dauer lässt nichts Menschliches aus. Dann ist Liebe plötzlich mehr eine Aufgabe als ein Gefühl.

„Romantische Liebe ist eine schlimme Lüge“

„Der Mythos der romantischen Liebe ist eine schlimme Lüge“, schreibt der amerikanische Psychiater M. Scott Peck, „als Psychiater tut es mir im Herzen weh, fast täglich sehen zu müssen, welche Verwirrung und welches Leid dieser Mythos anrichtet.“ Viele Patienten, so Peck, werden mit der Enttäuschung, dass es die große Liebe aus den Hollywoodfilmen in ihrem Leben nicht gibt, einfach nicht fertig: „Millionen von Menschen verschwenden ungeheure Mengen an Energie mit dem verzweifelten und vergeblichen Versuch, die Realität ihres Lebens mit dem unrealistischen Mythos Liebe in Einklang zu bringen.“

Solche Befunde sind nicht neu. Erich Fromm warnte schon 1956 vor der „Pseudoliebe“ und ihren fatalen Konsequenzen: „Da in der Regel niemand auf die Dauer die Erwartungen eines so abgöttisch Liebenden erfüllen kann, muss es zu Enttäuschungen kommen, und man sucht sich mit einem neuen Idol zu entschädigen, manchmal in einem nicht endenden Kreislauf.“ Fromm hatte die Hollywoodfilme der fünfziger Jahre vor Augen und die ersten Opfer des modernen Liebeskultes. Ein halbes Jahrhundert später hat sich der Mythos Liebe, angefeuert von einer völlig entfesselten Unterhaltungsindustrie, weltweit ausgebreitet. Die Scheidungsraten steigen, die serielle Monogamie ist zum Normalfall des Lebens geworden. Liebe hat ein Verfallsdatum.

Das psychische Leid beginnt aber keinesfalls erst mit dem Scheitern der hoffnungsvoll begonnenen Liebe. Es fängt an lange bevor es zu einer ersten Beziehung kommt. Denn schon den kleinen Kindern wird eingetrichtert, dass der Sinn des Lebens darin besteht, sich zu verlieben. Es gibt Bücher für Kinder im Kindergartenalter, die erklären, dass „Schmetterlinge im Bauch“ ein Hinweis auf die erste Liebe sind und ein Kribbeln auf der Haut auf akutes Verliebtsein hindeutet. Und es gibt Psychologen wie Andreas Engel, Vorsitzender der „Bundeskonferenz für Erziehungsberatung“, die meinen, dass der Kindergarten genau der richtige Ort für die erste romantische Liebe ist: „Kinder können sich tatsächlich richtig verlieben. Das sollte man unbedingt akzeptieren.“ Jede Religion braucht Propheten und Prediger.
Immer geht es nur darum: den Richtigen zu finden

Wer dagegen die Sandkastenzeit traurigerweise noch ohne Schmetterlinge im Bauch erleben musste, hat spätestens bis zum Ende der Grundschulzeit verstanden, worum es ab jetzt im Leben gehen wird: verliebt sein! Den Richtigen finden! Es ist überhaupt nicht ungewöhnlich, dass schon Zehn- oder Zwölfjährige an der familiären Kaffeetafel quer über den Tisch gefragt werden: „Und, hast du schon eine Freundin?“ Die Mutter wird dem verlegenen Jungen dann zu Hilfe kommen und salomonisch sagen: „Das hat doch noch Zeit.“ Doch das Kind wird zwei wichtige Botschaften aus dem ausgesprochen peinlichen Gespräch mitnehmen: 1. Ohne Freundin ist man eigentlich minderwertig und noch kein vollwertiger Mensch. 2. Die Zeit läuft.

So gesehen liegt die Tragik des Liebeskultes nicht nur in den von Heilserwartungen überfrachteten Beziehungen selbst, die Tragik beginnt schon zuvor, bei der energisch aufgeladenen, manchmal hysterischen Suche nach einer solchen Liebeserfahrung: „Partnersuche ist in unserer Kultur zur Ersatzreligion aufgestiegen“, sagt die Sozialphilosophin Katharina Ohana. „Sie wird (besonders für Frauen) vor jeden anderen Erfolg gestellt: Partnersuche ist zum hauptsächlichen Lebenssinn und Lebensglück hochstilisiert worden.“ Der Eindruck wird von Meinungsumfragen bestätigt. Im frühen 21. Jahrhundert beantwortet eine große Mehrzahl der Deutschen die Frage nach dem Sinn des Lebens ganz einfach mit: „Glück“. Fragt man dann weiter, was genau denn glücklich mache, stehen „Liebe/Partnerschaft“ immer an erster Stelle. Kinder, Familie, Freunde, Beruf und Erfolg liegen weit dahinter.

Kein Wunder, denn die Populärkultur kennt eigentlich kein anderes Thema als die romantische Liebe. Würde man für einen Tag auf jeden Love Song im Radio verzichten, auf jeden Werbespot und auf jeden Film, in dem sich schon wieder zwei Menschen überglücklich in die Arme fallen, blieben die Radios stumm und die Bildschirme dunkel. Selbst Krimis, Kinderfilme, Comedies und Kochsendungen kommen ohne eine kräftige amouröse Beimischung nicht aus. Das erfolgreiche Album der deutschen Band „Frida Gold“ fasst endlich prägnant zusammen, was unausgesprochen ohnehin längst alle denken: „Love is my religion.“

Der Körper ist das entscheidende Kapital

Im Trommelfeuer der Unterhaltungsindustrie, die dem Publikum rund um die Uhr die Liebesbotschaft einhämmert, ist freilich nur selten Liebe als alltägliche Zweisamkeit zu beobachten, als Weggemeinschaft durchs Leben oder gar als Selbstaufgabe in der Familie. Was mit Liebe eigentlich gemeint ist, ist die erotische Akquise, die Welt als Wettbewerbsplattform potentieller Partner: dem Gewinner winkt die große Liebe.

Es versteht sich von selbst, dass hier die Heilslehre des Gottes Liebe und handfeste kommerzielle Interessen reibungslos ineinandergreifen, denn an der notwendigen Optimierung der Wettbewerbsqualitäten verdienen viele mit. Der Körper ist in diesem Spiel das entscheidende Kapital, er muss in Form gebracht werden mit Diät, Fitness, Schminke, Frisur, Rasur und Waxing - vielleicht auch mit plastischer Chirurgie. Aber hat sich die Investition am Ende etwa nicht gelohnt, wenn sie hilft, die große Liebe zu finden? Muss man dem Zufall nicht manchmal ein bisschen auf die Sprünge helfen? So argumentieren alle, die am Geschäft mit der körperlichen Wertschöpfung und datenbankgestützter Partnervermittlung verdienen. Sie senden eine in sich völlig widersprüchliche Doppelbotschaft, die das Publikum nicht durchschaut: Einerseits soll die Liebe eine überirdische und übermenschliche Erfahrung sein, das unverhoffte Aufblitzen eines Götterfunkens im menschlichen Leben. Andererseits soll sie aber doch so gut planbar sein, dass man sich auf dem Weg zum Glück am besten den erfahrenen und stets kundenfreundlichen Profis anvertraut, die von der Brustvergrößerung bis zum Speeddating alles im Angebot haben, was der bald sicher glücklich Verliebte unbedingt braucht. Dass die fast industrielle Organisation dieses Geschäftes gerade erst richtig Fahrt aufnimmt, zeigen die rasant wachsenden Partnervermittlungen im Internet.

Natürlich hat das alles mit dem Alltag des Lebens wenig zu tun. Der Teil der Wirklichkeit, der nicht ins Bild passt, kommt in Werbung, Filmen und Songs nicht vor. „Es wird abgeblendet, bevor die Geschichten mit den Problemkindern, den sterbenden Eltern, dem eigenen Verfall und Verlust, der Arbeitslosigkeit, den Falten und Oberschenkeldellen kommen. Und unser Leben besteht - besonders ab 40 - zum großen Teil aus diesen Themen. Da wird es plötzlich ziemlich egal, was für ein schickes Brautkleid man mal getragen hat“, sagt die Philosophin Ohana.

Eine Ersatzreligion mit vielen Kollateralschäden

Zu den Kollateralschäden der Ersatzreligion Liebe gehören aber auch die vielen Menschen, die allein sind. Ihr Leben wird als defizitär wahrgenommen. Man vermutet, dass etwas mit ihnen nicht stimmt. Dass jemand freiwillig einen anderen als den Weg in die Partnerschaft geht, ist schlechterdings unverständlich. Dass jemand einen geeigneten Partner nicht gefunden hat, gilt als sein ganz persönliches Versagen. So oder so, er hat von seiner Umwelt bestenfalls Mitleid zu erwarten.

Wer dagegen sagt, er handele nun einmal aus Liebe und folge einfach seinem Gefühl, kann immer mit Verständnis und Zustimmung rechnen, auch wenn darüber ganze Familien zerbrechen, wenn der Mann seine Frau für eine Jüngere verlässt oder jemand zum fünften Mal heiratet. Wer sich auf die Liebe beruft, beschwört eine höhere Macht, die über jeden Zweifel erhaben ist. Vielsagend ist der Fall des Augsburger Professors für Moraltheologie Klaus Arntz. Als der katholische Priester 2012 im Gottesdienst bekanntgab, dass er sich verliebt habe (und zwar in eine verheiratete Frau mit zwei Kindern) und deshalb nun sein Priesteramt niederlegen werde, reagierte die Gemeinde nicht etwa schockiert, sondern mit stehenden Ovationen. Merke: Wer den Gott Liebe für sich in Anspruch nimmt, hat immer recht.

Warum hat die 28 Jahre alte Meharit Kifle den 90 Jahren alten Biermillionär Bruno Schubert geheiratet? Was trieb den 56 Jahre alten Ole von Beust in die Arme eines 18 Jahre alten Gymnasiasten? Wieso opferte der schleswig-holsteinische CDU-Vorsitzende Christian von Boetticher seine politische Karriere für eine 16-Jährige? Klar doch: Love, Love, Love!

Wer den Liebeskult kritisiert, gilt als herzloser Technokrat

Religionskritik hat es dagegen schwer. Wer seine Stimme gegen den quasireligiösen Liebeskult erhebt, hat ganz schlechte Karten. Er gilt entweder als herzloser Technokrat, unromantisch und gefühlskalt, oder man mutmaßt, dass er selbst wohl nicht die Richtige gefunden hat und deshalb anderen ihre glückliche Beziehung neidet. Wer darauf hinweist, dass Liebe eigentlich etwas ganz anderes ist als die schrille, immer leicht überdrehte Liebe unserer Populärkultur, wer von caritas et amor spricht oder gar von Nächstenliebe, steht als Moralapostel und Wichtigtuer da. Oder er wird mit der Gretchenfrage der Moderne konfrontiert: „Glauben Sie etwa nicht an die große Liebe?“ Es ist also doch eine Glaubensfrage.

Zu den trotzdem unverdrossenen Religionskritikern gehört Christiane Rösinger, die erst Lieder und dann ein ganzes Buch über die Überhöhung der romantischen Liebe geschrieben hat. Was sie sagt, ist eigentlich banal, aber unter den gegebenen Umständen doch fast schon revolutionär: „Die Liebe spielt sich als große Sinngeberin auf und gaukelt Erlösung durch Verpaarung vor. Sie ist zur Ersatzreligion geworden, sie gibt vor, alle Sinnfragen beantworten zu können. Sie tut so, als ob nur sie die nötige emotionale Grundversorgung liefern könnte. Sie ist die Ideologie, die hinter der Idee des Paares steht, und in unserer paarzentrierten Gesellschaft gibt es nur einen Status, der zählt: Teil eines Paares sein.“

Vergötterung des Anderen - und des eigenen Ich

Eine Frage ist noch offen: Ist der Mythos Liebe nicht wenigstens dafür gut, den Menschen aus seinem Egoismus herauszuführen? Ist die Sehnsucht nach Partnerschaft nicht immer noch besser als die Selbstsucht? Die Antwort lautet: Diese Art der Liebe ist nur scheinbar eine Überwindung der eigenen Grenzen. In Wahrheit handelt es sich um eine Fortsetzung der Ich-Bezogenheit mit anderen Mitteln, denn die Triebkraft, die wirkt, ist ja, wenn man ehrlich ist, gar nicht der Wunsch zu lieben, sondern der, geliebt zu werden.

Die Vergötterung des Anderen geht Hand in Hand mit der Vergötterung des eigenen Ich, das immerzu gepflegt und in seinem Marktwert erhalten werden muss. Das erfolgreiche Objekt meiner Liebe bestätigt nur meine eigene Großartigkeit; unser zur Schau gestelltes Liebesglück schmeichelt niemandem so sehr wie mir selbst. „Die erotische Liebe ist die trügerischste Form der Liebe“, schrieb Erich Fromm, „diese Art der Liebe ist in Wirklichkeit ein Egoismus zu zweit.“ Die wichtigste Voraussetzung, einen anderen Menschen lieben zu können, meint Fromm, wird so gerade nicht geschaffen: die Überwindung des eigenen Narzissmus.

Quelle: F.A.S.
 

Admina Felis

Aktives Mitglied
Registriert
12 Aug. 2015
Beiträge
32.879
stimmt Lillian und Vale...

ich hatte Vales Strang in dem Unterforum bisher noch gar nicht gesehen... ähem...

mea culpa ;) :D
 

Valentino

Aktives Mitglied
Registriert
4 Sep. 2012
Beiträge
5.109
Ohne "maxima" laß ich das aber nicht durchgehen, Frau Admina! :lach:

Im Ernst: ich finde den Artikel immer noch sehr gut, wenngleich auch äußerst ernüchternd und wünschte mir auch, daß gerade hier in diesem Forum mehr Resonanz dazu käme. Interessant ist übrigens auch die Replik von Jugendlichen einige Tage später.
 

Admina Felis

Aktives Mitglied
Registriert
12 Aug. 2015
Beiträge
32.879
ja, ich finde ihn übrigens gar nicht so ernüchternd -
meiner Meinung nach bedeutet es ja nicht, dass es Liebe und auch
die partnerschaftliche Liebe nicht gäbe - sondern gerade, dass diese
etwas ganz anderes zu sein scheint als wir gemeinhin annehmen...
in diesem Sinne dann -meiner Meinung nach - auch etwas Tieferes.

und dass man diese Liebe auch in etwas anderem finden kann als in
'einem passenden Partner, immer erotisch und Seelenpartner zugleich'.
(was bedeutet, dass man selbst auch so gesehen werden will)

sich darüber Gedanken zu machen, lohnt sehr, meine ich...
ich sage das ja manchmal auch in den Strängen:
es gibt so unendlich viel zu fühlen/entdecken/kümmern/denken/tun
auf dieser Welt - ...
und Menschen fallen in Depressionen weil xy keinen Valentinsgruß schickt...
ganz überspitzt formuliert.
nur als Gedankenanstoß...


Zuletzt modifiziert von Admina Felis am 11.10.2014 - 14:36:30
 
A

Admina Klari

Gelöschter User
Total spannender Artikel!

Aber ich glaube, das Konstrukt der romantischen Liebe ist einfach auch unglaublich kompliziert, weil so facettenreich. Ich glaube auch, dass ihr in der Realität um Massen mehr Egoismus innewohnt, als es unsere Ideologie darüber vorsieht. Denn natürlich ist sie eben keine BEDINGUNGSLOSE Liebe, sondern viel mehr als alle anderen Formen der Liebe an Bedingungen geknüpft. Die wichtigste Bedingung überhaupt: Du musst mich zurücklieben. Es ist keine wohlwollende Liebe, wie zwischen Freunden oder Eltern und Kindern oder Mensch und Tier, bei der man dem anderen wohlwollend zuschaut, wie er unabhängig von uns selbst seinen Weg findet, sein Glück sucht. Nein, das wäre in der romantischen Liebe eher eine Bedrohung und von Ängsten, Argwohn und eben auch Schmerz begleitet. Aber genau deshalb sehe ich diesen „Egoismus“ auch nicht im Sinne eines unreflektierten, egozentrischen Charakters. Er ist einfach automatisch da, weil Verlust dieser Liebe automatisch Schmerz bedeutet. Offensichtlich naturgegeben.

Interessant ist ja auch, dass es eine Form der Liebe ist, die überhaupt immer so bedroht ist. Auch die Basis von Beziehungen von innigen Freunden oder Eltern und Kindern, Geschwistern ist ja eine Form der Liebe. Aber doch viel weniger fragil. Das ist für uns intuitiv selbstverständlich. Aber warum ist dies eigentlich so?
Vielleicht auch, weil sie diese Rauschkomponente hat, die sie auf eine Weise intensiver und suchtartiger werden lässt? Und letztlich ist es vielleicht auch Tatsache, dass wenige, vielleicht gar keine Dinge so berauschend sind und tief gehen, wie Verliebtheit?
Kann man sich denn überhaupt dagegen wehren, dass dies so ist? Dass man damit auch weniger empfindlich und verletzlich ist? Es kostet wahrscheinlich viel Arbeit. Und man muss entweder noch egoitischer werden – kümmere Dich mehr um Dich selbst ist ja hier der Tipp, den wir immer geben – also dann noch mehr Egoismus?! Gesunder Egoismus? Oder wie Felis schreibt, die Augen für die Vielfalt der Welt nutzen.

Dass Liebe zu einer solchen Ideologie geworden ist, ist sicher ein Phänomen unserer Zeit. Aber ihre Durchschlagkraft beim Individuum und damit in der Masse ist auch schon iregendwie immer so. Die Weltliteratur ist über die Zeit voll davon. Romeo und Julia, die Leiden des jungen Werther, Anna Karenina, die Liste kann man wohl endlos fortsetzen… Das sehe ich jetzt nicht nur in den Filmen und Liedern der aktuellen Zeit…

Warum aber ist Liebe nun zu unserer Ideologie geworden? Hm, ich glaube, Menschen haben immer in sich so eine Frage, wozu das alles. Tief in sich die Sehnsucht nach einem Sinn für ihr ganzes Leben. Nach Spiritualität. Ich gaube, so etwas ist wichtig für uns. Wie ernüchternd und vielleicht ängstigend wäre die Erkenntnis, dass wir halt einfach da sind, irgendwann weg sind und das war es. In unserem Zeitalter, wo Wissenschaft ja letztlich ein solches Weltbild nahelegt, muss ein anderer Zauber oder Sinn her, als es früher vielleicht Religion oder Kampf für das eigene Vaterland waren. Aber es stimmt schon. Es ist eine schwere Bürde für Liebesbeziehungen, wenn sie nicht nur aus sich selbst und ihren Mechanismus heraus so kompliziert sind, sondern diese Ideologie eben auch kulturell noch draufgebürdet wird…

Wohl ein nie versiegendes Thema…


Zuletzt modifiziert von klari am 11.10.2014 - 16:10:36
 
L

Lillian

Gelöschter User
Ich finde diesen Artikel auch nicht ernüchternd, ganz im Gegenteil: Es war längst überfällig, genau das mal fest zu stellen.

Eine der Zentralaussagen für mich ist nach wie vor:

... Die Vergötterung des Anderen geht Hand in Hand mit der Vergötterung des eigenen Ich, das immerzu gepflegt und in seinem Marktwert erhalten werden muss. Das erfolgreiche Objekt meiner Liebe bestätigt nur meine eigene Großartigkeit; unser zur Schau gestelltes Liebesglück schmeichelt niemandem so sehr wie mir selbst. „Die erotische Liebe ist die trügerischste Form der Liebe“, schrieb Erich Fromm, „diese Art der Liebe ist in Wirklichkeit ein Egoismus zu zweit.“ Die wichtigste Voraussetzung, einen anderen Menschen lieben zu können, meint Fromm, wird so gerade nicht geschaffen: die Überwindung des eigenen Narzissmus.

Als junges Mädchen hätte mich dieser Artikel auch ernüchtert. Nicht nur das, ich hätte leidenschaftlich dagegen Stellung bezogen.
Im Laufe meines Lebens habe ich (zum Glück!) gelernt, dass es meist auf Dinge ankommt, die viel wichtiger als bloße Leidenschaft sind.

Natürlich ist die erotische Liebe, besser Verliebtheit, die gerne in romantischer Verpackung daher kommt, etwas besonders Schönes. Weil sie uns ein ganz besonderes Gefühl von Lebendigkeit vermittelt, weil man sich und den anderen sehr intensiv spürt und das ergibt im besten Fall eben eine beglückende Art von Kommunikation.

Aber alle anderen Facetten wie Neugierde auf die Welt an sich, Vertrautheit mit nahen Menschen, Verantwortung und Fürsorge für andere, gemeinsam Freude erleben, schwere Zeiten teilen, all dies gehören für mich genau so dazu und ihre Erfüllung liegt keineswegs alleine nur in einer Liebespartnerschaft.
 

Valentino

Aktives Mitglied
Registriert
4 Sep. 2012
Beiträge
5.109
Das mit dem "ernüchternd" möchte ich nochmal aufgreifen, um nicht mißverstanden zu werden. Ich meinte das nämlich auch in diesem Sinne:

Lillian schrieb:
Als junges Mädchen hätte mich dieser Artikel auch ernüchtert. Nicht nur das, ich hätte leidenschaftlich dagegen Stellung bezogen.
Im Laufe meines Lebens habe ich (zum Glück!) gelernt, dass es meist auf Dinge ankommt, die viel wichtiger als bloße Leidenschaft sind.

D.h. früher, zu Zeiten der ersten großen Liebe, hab ich das (natürlich) auch noch romantisch verklärt gesehen und gedacht, wenn zwei sich gefunden haben und richtig verliebt sind, dann bleibt das eben so bis an's Ende unserer Tage...

Die, die wir hier im Forum sind und alle unser Päckchen zu tragen haben, und offenbar ja auch sehr viel über dieses Thema sinnieren und reflektieren, die ernüchtert ein solcher Artikel nicht mehr, im Gegenteil, ist er doch eigentlich Wasser auf unsere Mühlen. Nur glaube ich eben auch, daß diese Erkenntnis nur relativ wenige Menschen haben...

Hätte ich diesen Artikel und Wolfgangs Seiten mit Anfang zwanzig gelesen - ich hätte alle für blöd und total unromantisch gehalten. Jetzt überlege ich, wie ich diesen Artikel schonend meiner Nichte unterschiebe, ohne daß sie mich für blöd und unromantisch hält :lach:
 

Statistik des Forums

Themen
12.814
Beiträge
2.163.764
Mitglieder
10.754
Neuestes Mitglied
Mark 74
Shoutbox
  1. Seele @ Seele: Currywurst mögen die doch auch wie verrückt
  2. Ramona_in_Love @ Ramona_in_Love: @Seele Oder auch Auch Steak and BJ - Day am 14. März .... ich fand immer schon, dass die Kerle mehr Spaß im Leben haben und hing schn als Teenagermädchen gernhe mit den coolen Jungs ab
  3. Seele @ Seele: Folgt nicht bald der Schniblotag?
  4. Ramona_in_Love @ Ramona_in_Love: Nur noch knapp 50 Minuten durchhalten Leute, dann sind dieser endbescheuerte Valentinstag und das damit ggf. verbundene KK auch wieder vorbei ;-)
  5. Admin Wolfgang @ Admin Wolfgang: Hallo Leute z. Z. werde ich mal wieder überflutet mit Mails, PNs und SMSen. Ich kann nicht auf Dutzende von Messages jeden Tag antworten, das übersteigt meine Kapazität. Nur auf Organisatorisches bzw. nur auf wirklich Wichtiges sollte sich das beschränken. Und bitte haltet eure Texte möglichst kurz dabei. Danke für euer Verständis.
  6. Admin Wolfgang @ Admin Wolfgang: Leute denkt bitte dran: Ihr dürft im Forum nur bei anderen kommentieren, wenn ihr nen eigenen Strang habt oder hattet, in den Foren 1 bis 5. Ein Plaudereckenstrang reicht dafür nicht aus. Alle nicht genehmigte Posts werden vom Team wieder gelöscht.
  7. Honey Rider @ Honey Rider: Frohes neues Jahr
  8. Zebrafjord @ Zebrafjord: Ich wünsche auch ein Frohes Neues!
  9. Admin Wolfgang @ Admin Wolfgang: Euch allen einen guten Rutsch und ein gesundes neues Jahr!
  10. Admin Wolfgang @ Admin Wolfgang: Euch allen ein schönes Weihnachtsfest und natürlich auch den stillen Mitlesern hier.
  11. Leeloo @ Leeloo: Luke, wie schön! Gestern erst an dich gedacht ;-)
  12. Mod Luke @ Mod Luke: Viele liebe Grüße aus dem Off, Leute :-) Wünsche euch eine wunderbare Weihnachtszeit und einen guten Rutsch ins neue Jahr!
  13. Admina Hira Eth @ Admina Hira Eth: An alle Neumitglieder hier (oder die, die erwägen, es zu werden): bitte macht euch doch vorab mit den Forenregeln bekannt. Es wäre wirklich toll, würdet ihr berücksichtigen, dass ihr ohne eigenen aktiven Hilfestrang nicht in unseren Unterforen 1-5 kommentieren dürft. Außerdem wäre es toll, würdet ihr berücksichtigen, dass wir nicht in Affären hineinberaten - also euch weder sagen, ob ihr´s tun sollt oder wie oder euch in der Anfangsphase der Affäre begleiten oder betreuen. Lieben Dank! :-)
  14. Bourque @ Bourque: Liebe Plouha, liebe Hira, herzlichen Glückwunsch von meiner Seite!
  15. Admin Wolfgang @ Admin Wolfgang: Wenn ihr ins Fernsehen kommen wollt, dann schaut in die Plauderecke!
Oben