Liebe Selin,
Dein Text hätte grade von mir sein können... Ich erkenne mich da komplett wieder.
Gegen Aussen alles perfekt: Haus, gute Jobs, Autos, mehrfach Urlaub im Jahr usw.
Wir leben aber wie in einer WG: keine Leidenschaft, seit Jahren kein Sex. Die Kinder sind entstanden, da wir Kinder wollten. Davor und danach wieder kein Sex.
Mittlerweile finden auch keine Gespräche statt oder sonst was zu zweit. Er schläft im Wohnzimmer ich im Schlafzimmer.
Er arbeitet viel, hat kaum Zeit für was anderes. Ich habe mich von ihm total zurück gezogen.
Genau das. Das war ich, jahrelang. Und ich habe gemerkt, wie es mir immer schlechter geht damit und ich langsam aber sicher "vor die Hunde" gehe.
Ich kann Dir nichts zum Thema "Rettung der Ehe" schreiben, denn darin habe ich versagt (selbst Ehetherapie war zwecklos). Ich kann nur meine Erfahrungen zum Thema Trennung hier teilen:
Bevor ich mich getrennt habe, hatte ich mir folgende Fragen gestellt:
- Ist es für mich ok, so noch die nächsten ca. 10 Jahre auszuharren, bis die Kinder aus dem Haus sind?
- Kann ich damit leben, nie mehr Intimitäten/Zärtlichkeiten/6 zu haben? Oder wenn dann erst mit fast 60 oder später... und all die Jahre zwischendrin einfach verschwenden?
- Ist es richtig eine solche Beziehung meinen Kindern vorzuleben?
Ich hatte dieselben Ängste wie Du, ganz klar. Aber ich habe alle o.a. Fragen mit nein beantwortet, und das war bei mir mehr auf der Waage als die Angst. Bei mir kam als Beschleuniger noch dazu, dass ich ab Anfang des Jahres eine AF hatte und mir dabei genau aufgezeigt wurde, was mir die ganze Zeit gefehlt hat und was ich brauche. Es ist ja nicht nur der 6, es sind ja auch die guten Gespräche, Zärtlichkeiten, Berührungen, Kuscheln, Küssen, Wertschätzung, liebe Worte (hatte ich alles die letzten Jahre nicht mehr...)
Ich bin so vorgegangen:
1. Termin beim Anwalt, um die rechtliche Situation abzuklären (ich war sogar bei zwei verschiedenen Anwälten, weil es kompliziert ist)
2. Offene Kommunikation: ich habe hiernach den (Noch-) EM immer über alle weiteren, folgenden Schritte informiert
3. Wohnungssuche: Ich habe mich um ein Objekt bemüht, das den Standard des bisherigen auch weiterhin hat (ich gebe zu, es war finanziell schon eine Herausforderung, aber ich wollte nicht dass die Kinder einen "Abstieg" erfahren... ). Wichtig war mir auch, dass wir Eltern nicht zu weit auseinander wohnen wegen der Organisation.
4. Die Kinder einweihen. Ich habe es den Kindern erklärt, wie es ist. Dass wir nur noch Freunde sind und dass zu einer Liebe/Partnerschaft/Ehe mehr gehört und wir uns deshalb trennen. Wir haben offen mit ihnen gesprochen, was sich ändern wird, aber dass wir weiterhin Freunde bleiben.
5. Findung eines Betreuungsmodells für die Kinder (in unserem Fall Absprache zusammen mit den Kindern). Wir haben das Wechselmodell gewählt. Die Kinder sind eine Woche bei mir, eine Woche beim Vater, freitags nach der Schule ist Wechsel. Organisation finden, was genau mit wechselt, um einen Rhythmus zu finden, und dass man nicht ständig noch hin und her fahren muss, wenn etwas vergessen wurde.
6. Einrichtung am neuen Wohnort: Ich habe meinem EM den ganzen Hausrat gelassen, bin nur mit meiner Kleidung und Kleidung der Kids für 1 Woche sowie mit ein paar persönlichen Erinnerungsstücken ausgezogen. Ich wollte EM nichts "wegnehmen" und nicht als jemand dastehen, der den Kindern etwas wegnimmt. Ich bin da Stück für Stück vorgegangen. Am Anfang habe ich nur ein Sofa, und für mich und die Kids je ein Bett gekauft. Alles andere kommt nach und nach, so wie dann eben wieder finanzielle Ressourcen da waren. Dementsprechend habe ich auch keine Hilfe beim Umzug benötigt, es war mit 2 Autofahrten erledigt.
7. Gutes Verhältnis zum EM beibehalten. Vor den Kids nie ein schlechtes Wort über den EM sagen. Den Kids signalisieren, dass wir immer noch Freunde sind, auch wenn wir getrennt sind und nicht mehr zusammen wohnen, und sich so auch verhalten.
8. Nicht zu streng zu Dir selbst zu sein und Dich für jeden vollbrachten Teilschritt zu loben.
Zu Deinen Ängsten (die ich ja auch hatte)
Kinder, möchte ihnen ihre Familie nicht wegnehmen
Es war schon vorher keine Familie mehr, denn zu einer Familie gehört eine Partnerschaft, die es ja so aber nicht mehr gibt. Ihr seid nur noch Freunde.
Wenn es läuft wie bei mir jetzt, dann verlieren die Kinder keine Familie, sondern dann haben sie zwei Familien und profitieren davon. Wenn die Kids bei mir sind, dann genieße ich das, denn ich habe sie ja nur jede 2. Woche. Ich unternehme mit ihnen am Wochenende besondere Sachen, und EM macht das genauso wenn die Kids bei ihm sind (hat man vorher nie gemacht, denn EM und ich hatten gar keine Lust und Energie am Wochenende noch irgendwas zu machen... jeder hat sich hinter der Arbeit verschanzt, man war froh wenn die Kids vor der Playstation/Handy waren und man seine Ruhe hatte... es war alles lethargisch, keine Kraft mehr, alle unglücklich). Ich koche immer etwas Besonderes für die Kids, EM auch (hat er vorher nie gemacht, konnte gar nicht kochen). Wir bemühen uns mehr mit den Kids was für die Schule zu tun, sie zu ihren Hobbys zu begleiten. Man sieht es an den Noten: wir sind super in dieses Schuljahr gestartet (nur 1en und 2en, im vorherigen Schuljahr meist 3en und 4en).
- Finanziell, werde wohl so nicht weiterleben können. Habe Zukunftsängste
Die habe ich auch, gebe ich zu. Aber lass Dich vom Anwalt beraten.
In den Wochen, wo die Kids bei EM sind, habe ich ja Zeit. Deshalb arbeite ich dann sehr viel und sehr lange. Ich weiß nicht, wie Du arbeitest, aber solltest Du auch das Wechselmodell machen, gäbe es die Möglichkeit aufzustocken. Du könntest in den Wochen ohne Kids Überstunden ansammeln und voll Gas geben auf der Arbeit. An den Wochen ohne Kids dann wieder normal und auf die Kids fokussiert.
Bei friedlicher Einigung mit EM kann man auch Kompromisse schließen, er will ja auch, dass es den Kids bei Dir gutgeht. Ich kenne 2 Familien mit klassischem Residenzmodell, Kids bei der Mutter, die es auch friedlich so gelöst haben, dass EF im Haus bleibt, EM sich an den Kosten beteiligt und alles mietfrei weiterläuft, bis die Kids 18 Jahre alt sind. Ich gebe zu, das sind Extremfälle, bei uns wäre das nicht gegangen.
- Einsamkeit, nach so langer Zeit habe ich Angst alleine (mit 2 Kindern) zu sein
Ich habe mich in der Ehe viel einsamer gefühlt. Meine Kids und ich sind ein gutes Team, ich vermisse nichts, wenn wir zu dritt zusammen sind, in den Wochen wenn sie bei mir sind. Bei mir kommt die Einsamkeit nur dann, wenn die Kids bei EM sind. Der erste Moment ist dann immer etwas traurig. Ich übertünche das mit viel arbeiten. Mitte der Woche geht es dann wieder und ich hoffe, dass ich irgendwann auch mal zu dem Punkt komme, an dem ich dann die Zeit genießen und für mich nutzen kann.
(Für die, die meinen anderen Strang noch kennen: Ich bin zwar aktuell in einer Beziehung, aber das macht bei dieser Betrachtung trotzdem keinen Unterschied, weil es eine Fernbeziehung ist und wir uns nur 1 bis 2 mal im Monat sehen).
Irgendwann wird bei Dir auch wieder ein Partner kommen, der Dir das gibt, was Dir aktuell fehlt, und dann hat sich die Einsamkeit auch erledigt.
Vom Thema Affäre während der Ehe als Ablenkung kann ich nur abraten, verursacht im Regelfall nur Leid, Kummer und einen Scherbenhaufen (eigene Erfahrung und siehe die zahlreichen Beiträge hier im anderen Unterforum)...
Alles Gute für Dich!