Hallo Eagle,
Du hast bei anika geschrieben:
Ich denke, der Patient müsste lernen, reflektierter mit sich umzugehen. Er muss SELBST in der Lage sein, starke (positive) Gefühle freizusetzen. Wir sind als erwachsene, mit Verstand ausgestatteten Wesen, doch hoffentlich nicht nur ein Produkt des äußeren Einflußes. Ich glaube Wolfgang: Wir sollten uns mehr zutrauen als eine Marionette unserer Gefühle zu sein.
Na, da widersprech ich Dir doch nicht!
Gerade auch diese Strategien hier helfen uns ja selbstbestimmter mit uns umzugehen, weil wir durch sie ein Regulativ in der Hand haben, um unseren Gefühlen Einhalt zu gebieten, wenn sie uns in die Irre führen. Und man sieht hier im Forum ja besonders schön, wie schwer es ist, nicht zur Marionette seiner Gefühle zu werden - besonders für euch Frauen.
Nur, ist es ein sehr großer Unterschied, ob man das Ausdrucksverhalten kontrollieren will, das uns unsere Emotionen auferlegen wollen oder die Emotionen selber.
Wenn ein Nochverliebter ein guter Schauspieler ist und über ein gesundes Selbstbewusstsein verfügt, dann kann er es mit kleineren Abstrichen schaffen, dass sein Expartner den Anschein bekommt, dass er seine Gefühle für ihn verloren hat. Er kann das Ausdrucksverhalten eines Verliebten unterdrücken, nicht jedoch das Gefühl selber… Natürlich kann man langfristig Gefühle in sich abtöten, wenn man die andere Person meidet und sich vom Verstand her klar wird, dass alles keinen Sinn macht… So gesehen, kann man natürlich Einfluss auf sich nehmen. Ja!
Das was Du über Deine Panikattacken geschrieben hast, kenne ich natürlich… Ich arbeite seit annähernd zwanzig Jahren mit Psychosomatikern. So wie Du das mit Dir selber machst, indem Du Dir vorsagst, dass es keine plausiblen Gründe für Deine Ängste gibt usw., so ähnlich mache ich das auch bei denen…
Psychosomatiker sind meist sehr stark von ihren Gefühlen abgeschirmt. Das heißt, sie fühlen nicht was in ihnen vorgeht, jedenfalls nicht auf der Ebene, auf der sie es verbalisieren könnten. Deshalb können sie auch nicht über sich sprechen; sie sind völlig unfähig zur Selbstreflexion. Ihre Gefühle sind eingefroren und blockiert. Sie kommen nur in den zum Teil vollkommen bizarr wirkenden Symptomen zum Ausdruck.
Aber sie sind eingeschränkt fähig mir über die Botschaften ihres Körpers Einblick in ihre sozialen Konflikte zu geben. Sie selber sehen den Zusammenhang nicht oder würden es mir auch nicht unbedingt glauben, wenn ich es ansprechen würde. Manchmal kommen sie jedoch von selber drauf, dass zwischen der Erkrankung und ihren sozialen Fähigkeiten Zusammenhänge bestehen. Aber, diese Einsicht ist nicht unbedingt nötig, um eine Verbesserung ihres Gesundheitszustandes zu erreichen. Ich brauch sie eigentlich nicht, diese Einsicht…
Wenn mir ein verknöcherter und versteifter Beamter erzählt, welche Schwierigkeiten er mit seinem jungen Kollegen hat, dann ist er schon im Zentrum seiner Problematik, ohne, dass er einen direkten Zusammenhang sieht. Dann sprech ich mit ihm über seinen locker ausgeflippten Kollegen und versuche dann durch Umdeutung der Konfliktlage ihm eine andere Sicht der Dinge zu vermitteln. Einer Sicht, die ihn möglicherweise weniger provoziert und deshalb lockerer reagieren lässt… Er sieht dann das Problem aus einem anderen Blickwinkel und dies kann zu einer deutlich reduzierten Stresssituation führen… So ähnlich machst Du das bei Deinen Panikattacken. Die deutest Du vom Verstand her so um, bzw. die entsprechende Situation - und damit beruhigst Du Dein inneres Kind, das in Panik geraden ist.
Mit dieser Methodik hast Du einen Weg gefunden, mit Deinen phobischen Reaktionen zurande zu kommen. Genauso, wie ich bei meinen Pschosomatikern die „Luft rauslasse“, indem ich mit ihnen die andere Seite der Münze bespreche.
Nur, bei Licht betrachtet, ist die Behandlung der Psychosomatiker genauso eine Symptomdoktorei wie Du sie bei Deinen Panikattacken betreibst. Die Techniken die man anwendet, führen auf einer oberen Ebene zum Verschwinden der Symptome, aber der tiefere seelische Untergrund ist deswegen nicht saniert, bzw. ist nicht sanierbar.
Das Ganze noch einmal aus einer anderen Sicht:
Ich habe schon oft mit Menschen gearbeitet, die Defizite in ihren sozialen Eigenschaften und Funktionen hatten. Frauen aus lieblosen Elternhäusern oder durch Klinikaufenthalte hospitalisierte, leiden häufig unter einem krassen Nähe-Distanz-Problem. Das heißt, sie können Nähe über längere Zeiträume in zwischenmenschlichen Beziehungen schlecht tolerieren. Ihre romantischen Gefühle schwinden dann und ihre Leidenschaftlichkeit, wenn eine stürmische Anfangszeit in eine mittlere Ruhephase mündet.
Trotz aller Selbstreflexion und Einsicht in die Grundthematik, ist es diesen Frauen nicht möglich an ihrer Näheproblematik zu „arbeiten“. Egal mit was man da rangeht, die Ergebnisse werden unbefriedigend bleiben.
Panikattacken, die sich aus Urängsten speisen, kann man durch Einsicht und Beruhigung seines inneren Kindes möglicherweise abmildern, vielleicht auch durch eine geeignete Religion oder durch bestimmte Meditationstechniken. Aber das Abfallen der romantischen Gefühle bei einer Nähe-Distanz-Problematik wird man mit keiner Einsicht und keinem Arbeiten an sich selber aufhalten können.
Es kommt entscheidend darauf an, auf welcher seelischen Ebene eine Problematik angesiedelt ist… Ziemlich weit oben, im mittleren Bereich oder ganz tief unten.
Auch oberflächlich liegende Störungen und Neurosen sind kaum einer Selbstbeeinflussung zugänglich. Es ist natürlich ein entscheidender Vorteil, wenn Persönlichkeiten eine so differenzierte Auslegung haben wie Du. Wenn hier durch therapeutische Interventionen ein Katalysatoreffekt erzeugt wird, kann sich eine Eigendynamik entwickeln, die zu solch schönen Ergebnissen führt.
Nur Eagle, darfst Du das bei Dir Erreichte, nicht so ohne weiteres auf andere übertragen.
LG
Wolfgang