Liebe Lalelu,
Also unsere Grundvoraussetzungen für das Führen einer Beziehung stimmen überein, was ja zu erwarten war.
Und doch hast du das immer wieder angezweifelt, oder? Nimm diese Erkenntnis oder Erfahrung als das, was sie sein kann: einen Erfolg.
Wir haben festgestellt, dass ich offenbar viel von ihm erwarte, er wenig bis nichts von mir.
Dass das bei mir ein bisschen wie Desinteresse oder Unverbindlichkeit rüberkommt, hoffe ich, ihm einigermaßen klar gemacht zu haben.
Ja er nimmt dich halt so wie du bist, das hat mit desinteresse nix zu tun.
Die Umdeutung von vivere finde ich großartig - und, wie ich glaube, sehr hilfreich. Nicht, um irgendetwas schön zu reden, sondern um zu klären, dass deine Haltung dazu eine enorm große Rolle spielt.
Die ganze Geschichte regt mich natürlich sehr zur Selbstreflexion an. Ich reflektiere mich generell gerne, hinterfrage meine Handlungen.
Jetzt frage ich mich natürlich: wie kommt das?
Was triggert sein Verhalten in mir? Warum brauche ich so viel Sicherheit/Verbindlichkeit?
Ich schlage andere Fragestellungen vor. Die Suche nach den Ursachen kann sehr interessant sein, aber was gewinnst du durch: Aha, deshalb!?
Also: In welchen Situationen, auch jenseits deiner Partnerschaft, erlebst (auch: hast du erlebt) du Sicherheit/Verbindlichkeit? Was ist/war DEIN Anteil an diesen Situationen, die dir diese Erfahrung ermöglicht haben/sie dir ermöglichen?
Irgendwie schließt sich gefühlt der Kreis ein bisschen. Ich hatte vor ca. drei Monaten begonnen, mich intensiv mit dem Forum und den Geschichten zu beschäftigen. Mein Eingangspost ist fast drei Monate alt.
Hira hatte damals geschrieben, dass wir beide sehr wohl das Gleiche zu wollen scheinen: nämlich eine funktionierende Beziehung.
Die Frage, was zu einer funktionierenden Beziehung für uns beide individuell dazu gehört, ist noch immer nicht vollumfänglich geklärt. Aber immerhin ist das doch eine ganz gute Erkenntnis, oder (Alvaro?)?
Meine Hypothese dazu: ihr werdet diese Frage in der Theorie, und dazu zähle ich auch den verbalen Austausch darüber, nie vollumfänglich klären können. Weil die Situation dynamisch ist. Weil ihr einen SEHR großen Systemkontext mitbringt: auf deiner Seite 2 Kinder, auf seiner Seite 2 Kinder (eines davon dem Gesetz nach erwachsen) und eine Kindsmutter, die, nun ja, sagen mal, Schwierigkeiten mit einem Tribünenplatz hat
Und ja, ich halte das für eine sehr gute Erkenntnis - weil nützlich.
Ich denke, in dieser sehr intensiven Zeit bin ich wahrscheinlich zu oft bei ihm gewesen (warum tut er dieses/tut jenes nicht?), anstatt bei mir zu bleiben.
Bleib bei dir. Klingt so einfach und ist oft so schwer. Nur wenn du bei dir blebst, bleibst du handlungsfähig.
Das versuche ich zu ändern. Ich sage ihm immer wieder, was ich brauche und hoffe, dass wir (bald!) eine ausreichend große Schnittmenge finden, so dass so langsam wieder eine gewisse Leichtigkeit Einzug halten kann.
Super, aber starrt bitte nicht ständig auf die (mögliche/erwartete/erhoffte) Vergrößerung der Schnittmenge. Das nimmt ja die Leichtigkeit. Hingucken, wahrnehmen, gemeinsam verarbeiten, weggucken, weitermachen
Meiner Einschätzung nach habt ihr den Point of no return überschritten.
Ich weiß immer noch nicht, wo die Reise hingehen wird.
Dazu ein kleiner Franz von Assisi: "Du Wanderer des Weges, es gibt keinen Weg, es gibt nur das Wandern."
An sich bin ich auch innerlich überzeugt, dass ich IHN nicht ändern will. Ich liebe ihn ja, weil er so ist, wie er ist.
Ich wünsche mir lediglich einen verstärken Umgang mit meinen Bedürfnissen. Wie erkläre ich das jetzt? Dass er etwas tut oder eben nicht tut, um mein Bedürfnis nach Stabilität und Verbindlichkeit zu stärken.
Das ist doch keine Änderungserstrebung seines Charakters??
Das scheint mir eine gaaaanz wichtige Differenzierung zu sein. Und da geht im Eifer des Gefechts in der Kommunikation oft viel Eindeutigkeit verloren. Und dann kommen Botschaften an wie "Warum bist du so xy?" obwohl ich eigentlich meinte: "Deine Handlungen lösen in mir xyz aus."
Da ist bei mir auch ein großes Thema aus meiner Kindheit, Stichwort Ausgeschlossensein. Ich hatte eigentlich gedacht, dass ich dieses Thema gut therapeutisch aufgearbeitet habe, Stelle aber fest, dass mich seine Verhaltensweisen, was den Umgang mit seiner Kernfamilie anbelangt, immer wieder massiv triggern.
Du hast das ganz sicher gut aufgearbeitet
Und du erlebst, was seine Kernfamilie betrifft, in der Gegenwart ein neues Ausgeschlossensein. Wenn du diese neue Erfahrung trotzdem mit deiner Kindheit abgleichen willst, dann schlage ich folgende Frage vor:
Welche Ressourcen haben mir geholfen, trotz der kindlichen Erfahrung von Ausgeschlossensein eine eigene Familie zu gründen, Partnerschaften einzugehen, bindungsfähig zu sein und zu lieben?
Ohne ihn hier verteidigen zu wollen - es liest sich für mich, als würde von ihm nichts kommen. Dem ist nicht so.
Doch, ich denke, du verteidigst ihn hier.
Und da du meiner Ansicht nach keine Gefahr läufst, jetzt "ALLES IST GUT!" zu brüllen, finde ich das sehr schön.
Wünsche ausschließlich bezüglich Kernfamilie. Alle anderen Bedürfnisse wurden und werden sehr gut gehört/befriedigt. Stand heute.
Unsere Probleme drehen sich tatsächlich nur um seine Kernfamilie.
Und da kommt wieder das Gedankenexperiment ins Spiel, das ich dir vorgeschlagen habe. Zum Thema Ausgleich. Er KANN das Kernfamilienproblem alleine verändern, er KANN es NICHT alleine lösen. Also: wo liegen außerhalb dieses Problems die Möglichkeiten für euch, deinen Wunsch nach Sicherheit/Verbindlichkeit/Priorisierung zu erfüllen? Und diese Antworten verändern GANZ SICHER wiederum die Verhältnisse in der Kernfamilie.
Deshalb habe ich oft geschrieben, ohne diese Problematik hätten wir eine Traumbeziehung.
Das lasse ich jetzt mal einfach so stehen
Zum Abschluss noch ein Gedanke: einer der problematischesten Punkte in Paarberatungen oder -therapien (egal, ob systemisch oder nicht) ist die zeitliche Asynchronizität. Am Besten kann ich das an einem Affärenbeispiel zeigen:
A ist mit B in einer festen Beziehung, hat aber eine Affäre. Die Affäre fliegt auf, A beendet die Affäre und A und B beschließen, gemeinsam zu einer Paartherapie zu gehen. Für A ist die Affäre zu Ende, für B hat die eigene emotionale Auseinandersetzung mit dem Vorhandensein (!) einer Affäre vielleicht erst mit dem Auffliegen begonnen. B ist also in der Auseinandersetzung damit Monate, möglicherweise Jahre, zurück. Wenn A nun dazu drängt, "das Kapitel abzuschließen und nach vorne zu schauen", dann kommt B nicht nach. Vielleicht muss A aber auch intensiv um die vergangene Affäre trauern und B will möglichst schnell "abschließen und nach vorne schauen". Vielleicht gilt beides gleichzeitig. Und so besteht die Gefahr, dass A und B sich ständig gegenseitig überfordern, weil sie ein Tempo einfordern, dass der/die andere einfach noch nicht gehen kann. Da sind dann die Therapeut*innen und Berater*innen gefragt. Stichwort "Prozesssteuerung".
Bei euch ist das natürlich nicht so krass, aber das Prinzip trifft meiner Ansicht nach auch auf euch zu. Für dich existiert das Problem auf einer emotional erfahrbaren Ebene schon viel länger als für deinen Partner. Stichwort "zwei Jahre". Wenn du die für dich vorhandene emotionale Verknüpfung ("Trigger") mit deinen Kindheitserfahrungen berücksichtigst, dann wird das natürlich ganz extrem sichtbar.
Was hilft? Vertrauen in den Prozess. Immer wieder schauen - "gibt es einen Prozess?" und dann Vertrauen. Geduld. Woher kann die Kraft für diese Geduld kommen? Bei euch würde ich vermuten: direkt aus all den Bereichen, in denen ihr gut harmoniert. Bleibt im Prozess und lebt dabei die Liebe, die ihr habt. Gleichzeitig.
Schönen Tag,
Alvaro