Hat deine Mutter viel an dir gezerrt? War die grundsätzliche Erwartungshaltung dir gegenüber sehr hoch? Die Mutter meiner Ex konnte ihre Tochter mit der Angst auch sehr gut emotional erpressen. Materiell wurde meine Ex dagegen häufig überschüttet. Als Ausgleich. Aber dann kamen die Forderungen ("Du kannst ja mal mit mir zusammen musizieren, jetzt wo wir dir das E-Piano gekauft haben..."). Meine Ex war zu Anfang ein Schreikind, wohl weil sie die Angst/Unsicherheit ihrer Mutter gespürt hat. Wie war das bei dir?
Oh ja, meine Mutter hatte sehr hohe Erwartungen an mich. Mit emotionalen Erpressungstaktiken konnte sie auch ganz gut arbeiten. Ausgleich in Form von materiellen Dingen gab es auch, wenn auch nicht so übertrieben viel wie bei anderen Leuten, ich bin keine Tochter aus wohlhabendem Elternhaus. Selbstverständlich wurde im Gegenzug erwartet, dass ich meiner Mutter Gesellschaft leistete, wenn ihr danach war. Ein Schreikind war ich auch, habe mir aber noch nie Gedanken gemacht, dass das eine tiefere Bedeutung haben könnte... viele Babys sind Schreikinder.
Auch das kenne ich. Exi hatte daher geheime Verstecke für ihre Tagebücher. Interessant das du auch welche geschrieben hast. Darf ich annehmen, dass du früher reichlich und viel Tagebuch geschrieben hast?
Das war nur eine Phase im Alter von ca. 11/12 Jahren. Habe es nach etwa einem Jahr aufgegeben, weil es mir zu blöd wurde. Meine Mutter hat ständig in meine Privatsphäre eingegriffen. Eins meiner Tagebücher hatte ein Schloss, sie hat sogar dieses Schloss kaputt gemacht, damit sie mein Geschreibsel lesen konnte. Früher hatte ich auch viele Brieffreunde, meine Post hat sie natürlich auch gelesen.
Du musstest erst viele Widerstände überwinden um mal in den entsprechenden Genuss zu kommen. Und selbst dann, war das immer irgendwie ein Risiko für dich. Gut möglich, dass sich das irgendwie bis heute auf den Kennen lernen Verhalten bzw. dein "Beuteschema" ausgewirkt haben könnte.
Selbst als erwachsene Frau mit eigenem Gehalt habe ich viel Ärger in Kauf genommen, wenn ich z. B. nach einer langen Disconacht erst in den frühen Morgenstunden nach Hause gekommen bin. Meine Eltern wollten, dass ich mich ihren Vorstellungen entsprechend verhielt und funktionierte. Meine eigenen Bedürfnisse interessierten sie nicht so sehr.
Auch hier erschreckend ähnlich. Du bist aber nicht zufällig meine Ex???
Trotz der zahlreichen Parallelen kann ich das definitiv ausschließen
. Ihr wart sehr lange zusammen, so lange hielten meine Beziehungen bei weitem nicht.
Erklärt vielleicht auch, warum sie so an dir geklammert hat und unbedingt dich als ihre beste Freundin wollte. Ihr Partner war nicht wirklich für sie da. Da wurde wohl vieles auf dich übertragen.
Ja, sie hat mich als Partner-Ersatz benutzt. Schon in meiner Kindheit hat sie mir ganz persönliche Dinge anvertraut, die man eigentlich nur mit Erwachsenen bespricht.
Hast wahrscheinlich auf deiner Suche nach "Wertschätzung" auch entsprechende Männer angezogen, die genau auf sowas angesprungen sind.
Ich ziehe Männer an, die sich mir gegenüber ähnlich verhalten wie mein Vater sich im Umgang mit meiner Mutter und uns Kindern verhalten hat. An meinem Vater hing ich in meiner Kindheit/Jugend sehr. Er konnte sehr liebevoll sein und hat viel mit mir gekuschelt. Auf der anderen Seite weinte ich auch öfters mal seinetwegen, weil er viel abwesend war, sich lieber mit Hobbys und Freunden beschäftigte als mit der Familie und ich ihn sehr vermisste. Und er war ein Mensch, der große Probleme mit Verantwortung hatte. Im Unterschied zu meinen Typen hat er sich aber jeden Tag bei meiner Mutter gemeldet, wenn er mal für ein paar Tage ohne sie verreist war. Dieses lange Abtauchen gab es in der Ehe meiner Eltern nicht.
Hm, hast echt ne gewaltige Baustelle in deiner Vergangenheit gehabt. War sicher nicht leicht. Wie geht es dir heute damit?
Es ist, wie es ist. Die Vergangenheit habe ich akzeptiert, ich kann sie nicht rückgängig machen. Ich will die Geschehnisse aber auch nicht als Rechtfertigung für mein heutiges Leben benutzen. Jetzt bin ich erwachsen und habe mein Leben selbst in der Hand.
Hast du schon mal eine Therapie gemacht oder sowas wie eine Familienaufstellung?
Ich habe 2 Therapien gemacht, aber damals ging es um andere Themen als mein Liebesleben. Momentan ist eine Therapie nicht drin, weil sich das nicht mit meinen Arbeitszeiten vereinbaren lässt.
Familienaufstellung habe ich noch keine gemacht. Leider ist es bei mir so, dass ich mir vor jeder etwas höheren Geldausgabe überlegen muss, ob ich mir das leisten kann. Mein Gehalt vom Hauptjob ist in manchen Phasen so niedrig, dass ich auf den Nebenjob angewiesen bin, um mir gewisse Dinge fürs private Vergnügen leisten zu können.
Nach mehreren Jahren Arbeit an meiner Persönlichkeit und ehrlicher Selbstreflexion bin ich zur Erkenntnis gekommen, dass ich eine gewisse Bindungsangst entwickelt habe. Wobei ich mich aber nicht für den hoffnungslosen Extremfall halte
. Meine klammernde Mutter ist für mich ein ganz abschreckendes Beispiel für einen Menschen, der viel Nähe will. Ich will keinesfalls einen Partner, der mich ständig bei sich haben möchte wie meine Mutter. Menschen, die ständig mit ihren Partnern im Doppelpack zusammenglucken, kann ich überhaupt nicht verstehen. Mir würde das gewaltig auf den Zeiger gehen.
Ich brauche keinen Trauschein für eine glückliche Beziehung, selbst eine gemeinsame Wohnung ist mir nicht wichtig. Kinder kommen gar nicht in Frage. Mir ist es wichtig, dass ich auch als gebundene Frau weiterhin Kontakt mit Freunden pflegen kann und sie nicht nur 1-2x im Jahr sehe, wie manche Gebundene das so machen. Wenn ich auf ein Festival fahre, wäre es schön, wenn der Partner mitkommt... aber eben nicht immer, manchmal will ich lieber was mit Freunden oder ganz alleine machen. Dasselbe gilt für meine Urlaubsreisen... mal mit dem Partner zu zweit, mal mit Freunden, mal alleine. Alles mit dem Partner zu machen wäre mir viel zu eindimensional und zu eng, ich will keine Klammerbeziehung.
Tja, leider gerate ich seit einigen Jahren an Männer, denen es völlig ausreicht, mich alle 6 bis 8 Wochen mal zu sehen und die auch zwischendurch nur wenig Kontakt wollen. Und das ist selbst mir zu wenig, obwohl ich auch meine Freiheiten brauche. Mein Optimum wäre so ca. 3 Wochenenden im Monat gemeinsam verbringen und unter der Woche alle 2-3 Tage Kontakt pflegen. Wäre den meisten nähebedürftigen Menschen sicher zu wenig, aber meinen Männern ist das viel zu viel. Gibt es denn nur noch Menschen, die ganz viel Nähe oder ganz viel Distanz leben wollen? Wo bleiben die Menschen, die etwas dazwischen suchen?